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Wie in der Finanzkrise hält die Wirtschaftswissenschaft auch in der Klimakrise kaum taugliche Antworten bereit. Das muss sich ändern

Reinhard Loske

ist Präsident der Cusanus Hochschule in Bernkastel-Kues und dort Professor für Nachhaltigkeit. Die Hoch­schule in freier Trägerschaft versteht sich als Thinktank für eine transformative Wirtschaftswissenschaft. Von 2007 bis 2011 war Loske Senator für Umwelt, Bau, Verkehr und Europa in Bremen. Zuvor war er um­welt­politischer Sprecher sowie stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag.

Als die Queen im November 2008 in der London School of Economics der versammelten Schar der Top-Ökonom*innen die peinliche Frage stellte, warum denn niemand von ihnen die Finanzkrise vorausgesehen habe, schaute sie in ratlose Gesichter. Man habe sich wohl zu sehr aufeinander verlassen, so der Tenor der Rechtfertigungsversuche, die aber kaum überzeugen konnten.

Tatsächlich führten unrealistische Modellannahmen dazu, dass die Standardökonomik die drohende Finanzkrise nicht wahrnehmen und taugliche Vorschläge zur Eindämmung der Spekulation nicht entwickeln konnte. Als besonders fatal erwies sich die Vorstellung, Märkte neigten zum Gleichgewicht, wenn man sie denn seitens des Staates nur in Ruhe lasse. Genauso schwierig war die Annahme, Menschen verhielten sich als voll informierte Nutzenmaximierer stets rational und würden Risiken durchweg realistisch abschätzen können.

Im Nachgang der Krise wurde in der Wirtschaftswissenschaft zerknirscht zugesagt, sich fortan multiperspektivisch aufzustellen und stärker auf Fragen aus der realen Welt einzulassen. Einzelne Strömungen innerhalb der Disziplin, etwa die Verhaltensökonomik, haben dieses Versprechen in Ansätzen durchaus eingelöst. Doch insgesamt hat sich wenig verändert, vor allem in der akademischen Lehre. Sieht man einmal von studentischen Initiativen für eine plurale Ökonomik und einzelnen reformorientierten Hochschulen und Hochschullehrer*innen ab, wird im Großen und Ganzen am alten Sermon vom freien Markt als quasi natürlicher Ordnung festgehalten.

Die nächste Sprachlosigkeit steht der Standardökonomik deshalb ins Haus. Auf die Herausforderungen der Klimakrise mit ihrem gewaltigen Risikopotenzial hält die Wirtschaftswissenschaft in ihrem Hauptstrom kaum Antworten bereit, und wenn, dann reduktionistische. Obwohl klar ist, dass es um eine große Transformation geht, um das Respektieren von Naturgrenzen ebenso wie um globale Gerechtigkeitsfragen, hält sie bei theo­retischen Postulaten wie praktischen Empfehlungen eisern am Gewohnten fest.

Der stets an seinen Vorteil denkende Homo oeco­nomicus ist noch immer die zentrale Modellfigur der standardökonomischen Lehre. Zu Kooperation und vorsorgender Risikovermeidung ist er nur bedingt fähig, weil er stets fürchtet, von Trittbrettfahrern übers Ohr gehauen zu werden. Und generell gilt ihm die Zukunft nicht viel, weil er Gegenwartskonsum vorzieht und lieber im Hier und Jetzt lebt. Auch bei den praktischen Empfehlungen erklingt aus den Lautsprechern der Standardökonomik und der Wirtschaftspresse der immer gleiche Sound: Wachstumsstimulierung, mehr Wettbewerb, mehr weltwirtschaftliche Arbeitsteilung, mehr Handel, weniger Regulierung. Nein, gegen Klimaschutz sei man keineswegs, aber er dürfe nicht wettbewerbsverzerrend wirken oder gar in „Alleingängen“ umgesetzt werden. Das schade dem „Standort“ und sei nicht „effizient“.

Nach langem Zögern haben die meisten Stan­dard­ökonom*innen nun immerhin die CO2-Bepreisung für sich entdeckt, möglichst global harmonisiert. Sie wird als Allheilmittel gegen den Klimawandel gepriesen, obwohl sie doch eigentlich nur für ein ebenes Spielfeld sorgen soll. Die CO2-Steuer soll erreichen, dass Preise die ökologische „Wahrheit“ sagen, Externalitäten also in die Preisbildung einbezogen werden, denn nur dann bestehen für grüne Technologien, Produkte und Dienstleistungen überhaupt faire Wettbewerbsbedingungen. Es wäre also tatsächlich notwendig, dass die CO2-Bepreisung in möglichst vielen Ländern möglichst schnell und möglichst sozialverträglich eingeführt wird.

Dennoch ist sie keineswegs eine hinreichende Bedingung für Klimaschutz. Sie vernachlässigt kulturelle und sozialpsychologische Ursachen der Klimakrise. Auch Machtungleichgewichte werden nicht berührt. Zudem ist mehr als fraglich, ob der einseitige Blick auf die Natur als zu monetarisierende Rohstoffquelle und Kohlenstoffsenke der ökologischen Herausforderung überhaupt gerecht wird. Die Grundfrage bleibt auch in einer Welt mit realistischer CO2-Bepreisung, wie wir in den reichen Staaten es schaffen können, unser heutiges Leben zulasten zukünftiger Generationen, zulasten der Armen und zulasten der natürlichen Ökosysteme so umzustellen, dass ein gutes Leben für möglichst alle Menschen möglich ist.

Zuallererst muss das Gemeinwohl wieder in die Ökonomie integriert werden. Es stimmt eben nicht, dass wie von selbst die beste aller Welten entsteht, wenn jeder nur an den eigenen Vorteil denkt und alle Sphären der Gesellschaft ökonomisiert werden. Eigeninteresse und Geschäftssinn sind menschliche Realitäten, die es anzuerkennen gilt, aber letztlich ist es der Gemeinsinn, der das Gemeinwesen florieren lässt. Eine zeitgemäße Wirtschaftswissenschaft muss daran arbeiten, die Ökonomie in die Gesellschaft einzubetten und Unternehmen wie Volkswirtschaften auch als soziale Gebilde verstehen.

Der stets an seinen Vorteil denkende Homo oeconomicus ist noch immer die zentrale Modellfigur

Der Wert der Natur ist nicht nur als Faktor der Mitproduktivität und als Ökosystemdienstleistung zu bilanzieren, sondern als Basis unseres Lebens, die wir verlieren, wenn wir in den Bereichen Energie, Industrie, Verkehr oder Landnutzung weitermachen wir bisher. Eine zeitgemäße Wirtschaftswissenschaft muss also Werte realistisch erfassen und handlungsorientierte Sektorstrategien sowie einladende Narrative erarbeiten, die die Rückkehr in den „grünen Bereich“ ermöglichen.

Und nicht zuletzt: Eine zeitgemäße Wirtschaftswissenschaft muss in Kooperation mit anderen Disziplinen definieren, was des Staates ist und was der Märkte. Hochschulen müssen vor allem in der Lehre auch zu Orten der Gemeinsinnbildung werden. Wie wäre es mit einer „Exzellenzinitiative Gesellschaftsgestaltung“?

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