berliner szenen: Nüscht dahinter, weeßte
Ich glaube, ich will nicht alt werden. Dachte ich mir, als ich gestern Nachmittag in einer Café-Bar in Berlin-Mitte saß. Hinter mir hockten zwei ältere Herren und unterhielten sich, während sie Gezapftes tranken, über Krankheiten. Während ich mich bei einer heißen Zitrone mit Honig an einem Essay abarbeitete, drangen Gesprächsfetzen an mein Ohr: Bein ab, implantiertes Herzgerät, Diabetes und Spritzen, Schlaganfall, schlechte Leber, OPs – oh Gott, dachte ich, ich muss hier weg, sonst fühle ich mich auch gleich ganz krank.
Ich blickte nach hinten. Die beiden Männer schienen sich selbst nicht zu gruseln. Während sie sich gegenseitig diese Horrorgeschichten auftischten, nippten sie fröhlich an ihrem Bier, bis es weg war. „Heh, Meister, machste uns noch zwee Bier? Een Kleenes und een Großes!“, rief der Kleinere mit Halbglatze und voller Einkaufstüte, die er auf den Nebenstuhl gelegt hatte. Sein Gesprächspartner war deutlich größer und breiter. Dazu trug er eine Vollglatze. Als das Bier kam und der Kellner fragte, für wen denn welches sei, antwortete der Kleinere: „Na, is doch logisch. Für den Großen dat Große (dabei zeigte er auf sich) und für den Kleenen dat Kleene.“
Nach dem Prosit drehte sich das Krankheitskarussell weiter – diesmal blieb es bei einem Arbeitskollegen stehen, der einen Bandscheibenvorfall hat. „Dit ist so eener, der immer über andere lästern tut. So eener, der nur ein großes Maul hat und nüscht dahinter, weeßte?“, erzählte der Größere dem Kleineren. Ich trank den letzten Schluck von der heißen Zitrone und packte mein Essay in die Tasche. Ich dachte an das französische Wort „essayer“, das „versuchen“ heißt. Ja, immerhin habe ich es versucht, das Essay zu schreiben. Da rief der Kleine: „So, wat jibt’s noch? Jetzt haben wir allet abjearbeitet.“ Zum Glück zeigte mein böser Blick auf die leere, verregnete Straße. Eva Müller-Foell
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