Der Geschmack der Leere

Spieltriebe (2): Autor Johannes Schrettle arrangiert „fliegen/gehen/schwimmen“ um die Figur des Streetkids Swazy

Das Theater Osnabrück startet mit dem Festival „Spieltriebe“ in die neue Spielzeit: Insgesamt zwölf Ur- und Erstaufführungen werden vom 16. bis 18. September zu sehen sein und die Hase-Stadt zu einem Forum für zeitgenössisches Theater machen. Die taz nord stellt einige der jungen DramatikerInnen und ihre Stücke im Vorfeld in einer Serie vor.

Der dreiundzwanzigjährige Swazy lebt auf der Straße. Seine Freundin Helga und ihre Ratte „Freiheit“ sind immer bei ihm. Als Helga Swazy drei Euro für Zigaretten gibt, haut der ab, setzt sich in den Zug nach Paris.

„fliegen/gehen/schwimmen“ ist nicht das erste, aber das erfolgreichste Stück des 1980 in Graz geborenen Johannes Schrettle. Den renommierten Detmolder Grabbe-Preis gewann das Stück 2004. Im Jahr darauf lud man Schrettle mit dem Nachfolger „Dein Projekt liebt dich“ zum Stückemarkt der Berliner Festspiele ein. Jetzt wird „fliegen/gehen/schwimmen“ in Osnabrück uraufgeführt.

„Ich hab andere Möglichkeiten entdeckt. Absolut notwendig war das“, erklärt der aus Paris zurückgekehrte Swazy. Helga hat sich Sorgen um ihn gemacht. Irgendwann ist sie in einen Brunnen gesprungen. „Du warst nicht da, und ich konnte nicht schlafen und habe deshalb Lust gekriegt, so richtig lange unter Wasser zu bleiben.“ Und dann hat Polizist Holger sie aus dem Brunnen gefischt und mit nach Hause genommen. Und Holger und Helga wurden ein Paar.

Johannes Schrettle hat die meiste Zeit seines Lebens in Graz verbracht. „Ich bin Langzeitstudent“, so Schrettle. Vor allem Germanistik und Romanistik studiere er und wisse noch nicht, ob er abschließen werde. Seinen Lebensunterhalt verdient Schrettle als Deutschlehrer bei einem Flüchtlingsprojekt.

Eigentlich gehe es ihm in „fliegen/gehen/schwimmen“ vor allem um die Figur Swazy. „Wissen Sie, ich habe da was im Mund, so einen komischen Geschmack“, sagt Swazy. Der Text erzählt, wie Swazy diesen Geschmack los wird. Es ist der Geschmack der Leere. „Man weiß nicht, wohin oder was man will, da ist nur dieser Geschmack“, sagt Schrettle.

Die Figur Swazy begleite Schrettle schon seit seinem ersten Text. In „fliegen/gehen/schwimmen“ habe er nun versucht, der Leere Swazys eine kompakte, actiongeladene Handlung entgegenzustellen. „Swazy geht mit seinem leeren Gerede und seiner Antriebslosigkeit dem Publikum auf die Nerven“, so Schrettle. Helga dagegen stirbt fast nach dem Sprung in den Brunnen und stürzt fast ab bei einer Spritztour mit dem Polizisten Holger im Hubschrauber – Swazy hingegen bleibt im ganzen Stück passiv.

Regisseur wolle er nicht werden, sagt Schrettle. „Ich hab kein Interesse an fremden Texten.“ An eigenen Texten wolle er arbeiten, ruhig auch jenseits der professionellen Bühnen. In der Grazer Off-Szene ist er tätig seit 1998 und kürzlich hat er eine eigene Truppe gegründet, die „Little Drama Boyz“, mit denen er auch in Zukunft arbeiten will.

„Die Handlung von ‚fliegen/gehen/schwimmen‘ hat eine intuitive Logik“, so Schrettle. Die könne er nicht ohne weiteres erklären. Entsprechend implizit bleibt diese Logik oft und lässt den ratlos zurück, der nicht über die entsprechenden Intuitionen verfügt. Der ganze Text sei eine Projektionsfläche für Swazy. Die Figuren verdankten ihre Existenz dem Protagonisten – um ihn herum habe Schrettle den Text komponiert.

Bei Regisseur Tom Schneider hat sich die richtige Intuition offenbar eingestellt. Schrettle war bislang zweimal bei den Proben in Osnabrück. „Die Atmosphäre war ganz positiv“, so Schrettle, „Tom Schneider spricht dieselbe Sprache wie ich.“ Denn Schneider nehme Figuren und Handlungen ernst. Ohne sie allerdings zu ernst zu nehmen.

Denis Bühler