berliner szenen Biologisch-dynamisch

Trantüten

Meine Freundin N. will mit mir mittagspausieren und schlägt ein Bio-Bistro in Kreuzberg vor. Was mich vor Ort in Verwunderung versetzt, denn schon bei der Bestellung am Tresen schimpft N. los: „Wenn ich sehe, wie die jedes Salatblatt einzeln auf den Teller legt, werde ich wahnsinnig.“ Tatsächlich dauert es erstaunlich lang, bis wir uns über die bestellten Spaghetti samt Grünzeug hermachen können.

N. wettert weiter mit vollem Mund: Von wegen biologisch-dynamisch, jedes Mal könne sie sich über diese Trantüten aufregen. „Ist dir eigentlich schon mal aufgefallen, dass überall, wo es Bio-Zeugs gibt, der Service total schlecht ist?“, fragt sie mich plötzlich, und bevor ich sagen kann, dass ich so selten ökologisch einkaufe, fährt sie fort: „In meinem Bioladen sind die Verkäuferinnen lahm und unfreundlich. Und an der Fleischtheke wurde ich neulich überhaupt nicht bedient. Stell dir vor, wenn der Bio-Schlachter auch so langsam ist, fällt das Schwein ja schon vor Langweile tot um.“ N. bekommt einen kleinen Lachanfall und schlägt vor, im Biergarten gegenüber noch ein Eis zu essen. Endlich kann ich auch mal etwas sagen: „Warum macht Bio die Leute so schwerfällig, was glaubst du?“ Und N. unterbreitet mir ihre These: „Menschen, die sich derart extrem mit ökologischer Lebensführung auseinander setzen, dass sie im Ökoladen oder Bioimbiss arbeiten, müssen unglücklich sein und kompensieren das mit übermäßiger Beschäftigung mit dem Bio-Quatsch.“ Außerdem kämen die Kunden ja trotz allem.

Ich persönlich habe plötzlich große Lust, mal wieder bei McDonald’s zu essen. Dort geht es wenigstens schnell – und mit einem Hamburger im Mund schimpft es sich so schlecht.

JUTTA HEESS