Schlagabtausch zwischen Russland und Polen

Nach dem Überfall auf drei Russen in Warschau erwischt es in Moskau drei Polen. Beziehungen kühlen weiter ab

MOSKAU taz ■ Eigentlich wäre es nur ein Fall für die Polizei. Ende Juli überfielen Skinheads in einem Warschauer Park drei russische Teenager und richteten sie übel zu. Auch Geld und Handys nahmen sie den Opfern ab, die Kinder russischer Botschaftsangehöriger waren. Der Kreml erhob den Vorfall zur Chefsache. Präsident Wladimir Putin wies das Außenministerium an, „mit den polnischen Kollegen Kontakt aufzunehmen, um adäquat auf diesen unfreundlichen Akt zu reagieren“. Zudem ließ das Ministerium durchblicken, für den Vorfall seien „antirussische Ressentiments“ verantwortlich, die von höchster Ebene in Warschau gefördert würden. Moskau verlangte eine offizielle Entschuldigung, die blieb aus. Zu mehr als „tiefem Bedauern“ war Warschau nicht bereit.

Moskau konstruierte aus der Angelegenheit einen diplomatischen Akt, die Darstellung als gewöhnliche Straftat reichte nicht. Tagelang beherrschte das Thema die staatlichen russischen Medien: Die drei Teenager avancierten zu Helden von Warschau, die stellvertretend für Russland Schläge bezogen hatten. Eine Überdosis Patriotismus wurde den Russen verabreicht.

Eine Woche später wird der polnische Botschaftsangehörige Andrzej Uriadko in Moskau krankenhausreif geschlagen. Drei Tage später ereilt den zweiten Sekretär der Vertretung, Marek Reszuta, das gleiche Schicksal. Tags darauf lauern Schläger dem Korrespondenten der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita, Pawel Reszka, auf und schlagen ihn zusammen.

Alle drei Übergriffe folgten demselben Muster. „Es steht drei zu drei“, schrieb die Gaseta ironisch. Dennoch waren die Polen zunächst bemüht, Politik aus den Vorfällen herauszuhalten. Botschafter Stefan Meller warnte, die Ereignisse nicht zu instrumentalisieren, „um Spannungen in den russisch-polnischen Beziehungen zu verschärfen“. Nachdem sich die Übergriffe häuften, ließ aber auch er durchblicken, dahinter stünden „Hooligans mit fehlgeleiteten, aber klar definierten politischen Anschauungen“. Ein Hinweis auf die nationalistisch-chauvinistische Szene, die bis in die Jugendorganisation des Kreml „Naschi“ hineinreicht und gefördert wird.

Um die bilateralen Beziehungen war es nie sonderlich gut bestellt. Die fast 1.000-jährige gemeinsame Geschichte steht im Wege. Polen und Russland verkörpern zwei unterschiedliche Konzepte von Staat und Gesellschaft. Einer relativ offenen Adelsgesellschaft in Polen stand im Spätmittelalter die Moskowiter Autokratie gegenüber. Seit Polens EU-Beitritt 2004 reagiert der Kreml noch empfindlicher auf den Nachbarn.

Besonders wütend war man auf Polens Präsidenten Aleksander Kwaśniewski. Nach der Wahlniederlage des vom Kreml gestützten ukrainischen Präsidentenkandidaten Viktor Janukowitsch meinte der Pole: „Russland ohne Ukraine ist eine bessere Lösung als Russland mit der Ukraine.“ Moskau neidet Polen den wachsenden Einfluss in Osteuropa und fürchtet, die orangene Revolution könne von Warschau gefördert über Weißrussland nach Moskau gelangen.

Im Januar verpassen sich Putin und Kwaśniewski bei einer Visite des Kremlchefs in Krakau angeblich „wegen Schneetreibens“. Im März verurteilt das Warschauer Außenministerium den Mord an dem tschetschenischen Präsidenten, Aslan Maschadow, als „Verbrechen“ und „politischen Fehler“. Der Kreml verlangt eine Entschuldigung.

Vor den Feierlichkeiten zum 60-jährigen Kriegsende verlangte Warschau von Moskau, den Molotow-Ribbentrop-Pakt, der die Aufteilung Polens und des Baltikums zwischen Stalin und Hitler sanktionierte, zu verurteilen und sich für das Massaker von Katyn – die Erschießung zehntausender polnischer Offiziere – zu entschuldigen. Moskau reagierte nicht, lud zum Fest neben Kwaśniewski aber auch den letzten KP-Generalsekretär ein, Wojciech Jaruzelski. Zur 750-Jahr-Feier Kaliningrads war Polen nicht einmal geladen.

Die Politik kleiner Nadelstiche hat sich eingespielt. Moskau fehlt eine politische Vision. Die billigen Taschenspielertricks verpesten indes die öffentliche Atmosphäre und fördern die weitverbreitete Ausländerfeindlichkeit. Neben Georgiern, Tschetschenen, Westukrainern hätten die Polen im Falle eines Überfalls kaum Mitleid zu erwarten, ermittelte die nationalistische Zeitung Sawtra.

Nach dem letzten Übergriff am vergangenen Donnerstag rief Kwaśniewski Putin an, der ihm versichert haben soll, alles zu tun, um die Täter zu finden und auch zu bestrafen. Einer der Schläger von Warschau wurde nach Angaben des polnischen Botschafters letzte Woche festgenommen. KLAUS-HELGE DONATH

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