berliner szenen
: Wenn das rote Telefon klingelt

Gestern. Ein großes Berliner Krankenhaus. Rettungsstelle. Es ist Samstagnacht. Ich bin Ärztin. Das rote Telefon klingelt. Das rote Telefon ist das Notfalltelefon. Es hängt mitten in der Rettungsstelle in einer Nische an der Wand und ist der Beweis, dass auch Ärzte Fantasie haben. Das rote Telefon ist nämlich beige. Beige und ein echtes Festnetz. Mit Hörer, Wähltasten und einem ohrenbetäubenden Klingelton.

Dass es klingelt, ist kein gutes Zeichen. Denn auf dem roten Telefon rufen nur Notärzte an, und auch die nur, wenn es wirklich brennt. Deshalb muss man auch immer rangehen. „Ich habe leider kein Intensivbett“, sage ich, und es stimmt. „Das ist mir egal“, antwortet der Notarzt, „Sie sind die vierte Klinik, die mich abweist, ich komme jetzt einfach.“ – „Aber ich habe wirklich kein Bett“, rufe ich, doch der Notarzt hat aufgelegt.

Zwei Minuten später ist er da, und ich frage ihn, warum er überhaupt angerufen hat. „Mir gefällt die Vorstellung, auf dem roten Telefon anzurufen“, sagt er, „ich fühle mich dann immer ein wenig wie John F. Kennedy in der Kubakrise. Der hat doch auch dauernd mit Stalin telefoniert.“ – „Ich glaube, das war Chruschtschow“, sage ich. „Stimmt“, erwidert der Notarzt, „Stalin wäre wahrscheinlich auch gar nicht rangegangen.“ – „Und John F. Kennedy nicht einfach vorbeigekommen. Wofür gab es denn das rote Telefon?“ – „Ihres ist doch aber beige!“ – „Wir sind ja hier auch nicht im Kalten Krieg!“ – „Da wäre ich mir nicht so sicher“, zwinkert er mir zu und geht.

Er behält recht. Es dauert zwei Stunden, bis ich ein Intensivbett in einer anderen Klinik organisiert habe. Bis dahin wird der Patient dreimal reanimiert. Ich verfluche Stalin, Kennedy und das rote Telefon. Doch als derselbe Notarzt am Ende zur Verlegung wieder antanzen muss, fühle ich mich wie Fidel Castro. Eva Mirasol