Widerstand gegen die Gaza-Räumung

Die israelischen Sicherheitskräfte dringen in Siedlungen ein und nehmen radikale Gegner des Abzugs fest. Tausende Anhänger der Palästinenserorganisation Hamas feiern das Ereignis. In Israel wird unterdessen über vorgezogene Neuwahlen spekuliert

NEVE DEKAKIM/TEL AVIV afp/dpa ■ Der Widerstand jüdischer Siedler gegen die Räumung des Gaza-Streifens hat gestern an Schärfe zugenommen. Allein in Neve Dekalim im Siedlungsblock Gusch Kativ nahmen Polizei und Armee bis zum Mittag mehr als ein Dutzend Abzugsgegner fest. Auch in anderen Siedlungen kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die Frist für die freiwillige Räumung der Siedlungen lief noch bis Mitternacht, danach sollte zwangsgeräumt werden.

In Neve Dekalim durchbrach die Polizei am Morgen das Eingangstor zur Siedlung und verschaffte sich gewaltsam Zugang zur „Hauptstadt“ des Siedlungsblocks Gusch Kativ. Eine Planierraupe walzte eine Absperrung nieder. Hunderte von Polizisten und Soldaten stürmten in die Siedlung, hunderte von jungen Abzugsgegnern versperrten ihnen den Weg. Einige durchstachen Autoreifen und setzten einen großen Müllbehälter in Brand. Fäuste flogen, mehrere Jugendliche gingen im Gerangel zu Boden. Dann war der Weg frei für 120 Umzugswagen, die das Hab und Gut der abzugswilligen Siedler fortbringen sollten. Die Armee rechnete damit, dass etwa die Hälfte der Bewohner von Neve Dekalim bis Mitternacht die Siedlung verlassen würden. Bis kurz vor Räumungsbeginn lebten hier 2.600 Menschen.

Der israelische Verteidigungsminister Schaul Mofas sagte, Gesetzesverstöße durch gewalttätige Demonstranten im Gaza-Streifen würden nicht geduldet. Nach dem Abzug sollen die geräumten Siedlungen nach seinen Worten noch einen Monat lang für Palästinenser gesperrt sein.

In der Nacht zum Dienstag nahmen israelische Sicherheitskräfte rund 500 ultranationalistische Gegner des Gaza-Abzugs fest. Sie wurden in der Nähe des Kontrollpunkts Kissufim zwischen Israel und Gusch Katif gefasst. Laut Armeefunk waren unter den Festgenommenen auch die bekannten Siedlerführer Pinhas Wallerstein, Seev Hever und Zwiki Bar-Hai. Bei Zusammenstößen zwischen den Abzugsgegnern und der Armee sei ein Offizier verletzt worden.

Der Armee zufolge waren bis zum Morgen von den 21 Siedlungen im Gaza-Streifen drei bereits vollständig und fünf fast komplett geräumt. Sieben seien bereit zum Umzug und nur sechs zum Widerstand gegen die Räumung entschlossen. Mit heftigem Widerstand rechneten die Uniformierten in der als besonders militant geltenden Siedlung Schirat Hajam. Zusätzlich zu Stacheldrahtabsperrungen hoben die Abzugsgegner dort einen Graben rund um die Siedlung aus. Der israelische Wohnungsbauminister Jizchak Herzog sagte, nicht abzugswillige Siedler liefen Gefahr, ihr Recht auf Entschädigungen in Höhe von umgerechnet mehreren zehntausend Euro zu verlieren.

Israels Oberstes Gericht stoppte gestern vorerst die Zerstörung von Synagogen im Zuge der Räumung des Gaza-Streifens. Die Zeitung Ha’aretz meldete in ihrer Online-Ausgabe, das Gericht habe den Staat angewiesen, innerhalb von zwei Tagen Alternativen vorzulegen. Es solle etwa geprüft werden, ob Teile der Synagogen abgebaut und bei dem Bau neuer Gotteshäuser in Israel wiederverwendet werden könnten. Gegner des Abzugs hatten vor Gericht gegen den Abriss der etwa 30 Synagogen geklagt.

Tausende Hamas-Anhänger versammelten sich gestern nahe der Militärsperre El Tufah zwischen Khan Junis und Gusch Katif im Süden des Gaza-Streifens. An der Kundgebung nahmen auch Kämpfer des bewaffneten Arms der Hamas teil. Sie trugen Nachbildungen von Raketen und schwenkten die grünen Fahnen der radikalislamischen Organisation und Palästinenserflaggen. „Sie haben unsere Häuser zerstört, jetzt lassen wir sie ihre (Häuser) mit ihren eigenen Händen zerstören“, war auf einem Spruchband zu lesen. Palästinensische Polizisten hinderten sie daran, nach Gusch Katif vorzudringen.

Der politische Führer der Hamas, Chaled Maschal, hält den israelischen Abzug für den Anfang vom Ende des Staates Israel. In einem Interview mit der arabischen Zeitung al-Hajat sagte er: „Dies ist der Anfang vom Ende des zionistischen Projekts in der Region, ein historischer Moment.“

Der israelische Regierungssprecher Avi Pazner bezeichnete vorgezogene Parlamentswahlen in Israel nach dem Abzug als „möglich“. Ministerpräsident Ariel Scharon gehe mit dem Rückzug aus dem Gaza-Streifen ein „sehr großes politisches Risiko“ ein, da seine eigene Likud-Partei in der Frage gespalten sei, sagte Pazner dem französischen Radiosender France-Inter. Scharons Lage sei nicht „brillant“; in den kommenden Wochen und Monaten werde sich zeigen, ob er seinen Einfluss behalte. Israel hatte am Montag nach 38-jähriger Besatzung mit der Räumung des Gaza-Streifens begonnen.