Merkel holt den großen Zampano

Mit Paul Kirchhof im Team gelingt der CDU-Vorsitzenden eine echte Überraschung. Die Berufung des radikalen Steuerreformers könnte CSU-Chef Stoiber weiter einschränken

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Wer hätte das gedacht? Der große Zauderer Edmund Stoiber hat sich doch noch rechtzeitig entschieden: Bayerns Ministerpräsident wird nach Berlin wechseln.

Allerdings wohl nur für einen Tag.

Und nur in einer Nebenrolle.

Heute Mittag, wenn die Kanzlerkandidatin Angela Merkel ihr so genanntes Kompetenzteam präsentiert, wird der CSU-Chef mit dabei sein. Diesen Termin lässt sich Stoiber nicht entgehen, ist er doch der feierliche Auftakt für die letzten Wahlkampfwochen. „Jetzt geht’s richtig los“, frohlocken Merkels Helfer. All die Pannen der Union, Merkels Versprecher und Stoibers Ossi-Hasstiraden sollen in Vergessenheit geraten.

Von dem Gast aus Bayern wünschen sich die CDU-Strategen vor allem, dass er sich zurückhält. Heute. Und in Zukunft. Schließlich hat die Union seit gestern einen neuen Steuermann: Paul Kirchhof. Mit der Berufung des früheren Verfassungsrichters als Kompetenzmann für Haushalt und Finanzen, die via Bild vorab bekannt gegeben wurde, sei Merkel „ein Super-Coup“ gelungen, sind sich die Berater der Kandidatin sicher. Wie verflogen scheinen alle ihre Sorgen. Schnee von gestern das Problem, dass viele in der Union immer noch Merkels Erzfeind Friedrich Merz und sein Bierdeckel-Steuerkonzept vermissten. So ließ es sich CSU-Vize Horst Seehofer nicht nehmen, kurz vor der Kompetenzteam-Präsentation daran zu erinnern, was für ein toller Fachmann Merz doch sei. „Diese Diskussion hat sich nun erledigt“, hoffen die Merkelianer, schließlich stehe Kirchhof ebenfalls für ein radikales Steuer-Vereinfachungs-Konzept, ja mehr noch, er habe es „erfunden“. Darüber hinaus habe der Politneuling den großen Vorteil, als unabhängig zu gelten.

Selbst von SPD-Politikern wie dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck wurde Kirchhof in der Vergangenheit gelobt. Und so fielen auch die ersten Reaktionen im Regierungslager eher zahm, fast hilflos aus. Eine „Verlegenheitslösung“ sei Kirchhof, ließ der SPD-Finanzexperte Joachim Poß wissen, was wie eine Verlegenheitserklärung klang. Die FDP zeigte sich begeistert: „Eine ausgezeichnete Nachricht“ sei Kirchhofs Nominierung. Also alle Sorgen weg? Fast alle. Kirchhof plädierte – im Gegensatz zum CDU-Programm – bisher strikt gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Um diesen Widerspruch aufzulösen, habe man „Vorkehrungen getroffen“, tönt es aus der Union. Welche, dürfte spannend werden.

Vor allem aber freuen sich Merkels Leute, dass die Kanzlerkandidatin den Handlungsspielraum ihres Rivalen Stoiber weiter eingeschränkt habe. Eigentlich wollte sich der Bayer ja bis zum September offen halten, was er nach der Wahl zu tun gedenkt. Außenminister oder Superminister für Wirtschaft und Finanzen – alles sollte möglich bleiben. „Stoiber“, glaubt ein CDU-Insider jetzt schon zu wissen, „ist durch sein Zögern in eine Situation geraten, dass die Züge weitgehend abgefahren sind.“ Nun scheinen die wichtigsten Posten bereits besetzt. Für Wirtschaft und Arbeit soll im Kompetenzteam der saarländische Ministerpräsident Peter Müller zuständig sein. Auch mit Kirchhof hat sich Merkel auf einen Finanzexperten festgelegt, der vor Ehrgeiz brennt und höchstwahrscheinlich eine Zusage erhalten hat, das Finanzministerium zu bekommen – wenn er es denn möchte. „Davon können Sie hundertprozentig ausgehen“, hieß es in Merkels Umfeld. Dort gerät man geradezu ins Träumen. Von einem Wahlkampfschlussspurt, in dem Merkel endlich nicht mehr einsam wirkt, wie in den letzten Wochen. Dafür sollen ein paar prominente Mitstreiter sorgen: Niedersachsens Sozialministerin, die siebenfache Mutter Ursula von der Leyen, zum Beispiel als Kompetenzfrau für „Familie“. Und Wolfgang Schäuble hat sich, trotz seiner allseits bekannten Differenzen mit Merkel, offenbar bereit erklärt, die Außenpolitik zu übernehmen.

Man darf sich also heute vor allem auf großes Theater freuen: Stoiber, der die Ostdeutschen tagelang beleidigt hatte, wird die ostdeutsche Kanzlerkandidatin Merkel nun in den allerhöchsten Tönen loben – und natürlich auch ihr Team.

Danach fliegt Edmund Stoiber wieder heim nach München – und wenn es nach Leuten geht, die Merkel nahe stehen, soll er dort auch bleiben. Möglichst lange. Bis zur Wahl. Nach der Wahl. Für immer.