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Eigenes Leben verbraten

Der französische Regisseur Olivier Assayas bleibt mit seinem neuen Film, „Zwischen den Zeilen“, im Schwadronieren einer Pariser Justemilieu-Blase hängen

Von Ekkehard Knörer

Viel wird geredet in Olivier Assayas’neuem Film, sehr viel sogar, eigentlich besteht er vor allem aus Gequatsche zwischen mehrheitlich nicht mehr jungen weißen Männern und Frauen. Gequatsche und gelegentlich Sex, aber auch mit Gequatsche, innerhalb und außerhalb von Paarkonstellationen.

Der auf seine schluffige Art auf schwer erträgliche Weise von sich eingenommene Schriftsteller Léonard (Vincent Macaigne) zum Beispiel hat Sex mit Selena (Juliette Binoche), die allerdings die Frau seines Verlegers Alain Danielson (Guillaume Canet) ist. Der wiederum hat Sex mit der sehr viel jüngeren Laure (Christa Théret), der Digitalisierungsberaterin seines Verlags. Dann ist da noch Valérie (Nora Hamzawi), die Freundin von Léonard. Sie arbeitet für einen Politiker, der hat allerdings Sex nicht mit ihr, sondern mit Prostituierten. Sie wäscht ihm dafür den Kopf.

Das ist das Setting: superbürgerlich, irgendwas mit Medien und Literatur, zur Not Politik, alle gebildet, alle schrecklich fern von anderen Realitäten, alle in einer justemilieu-natürlich-eher-linken Luxus-Diskurs-Blase gefangen, in der es selbstverständlich scheint, große Wohnungen in Paris und daneben Landhäuser zu besitzen, den neuesten Klatsch mit dem Schwadronieren über Medien­umbrüche zu verbinden und „Das weiße Band“ für einen bedeutenden Film zu halten. Und dann einen obszönen Witz daraus zu machen, indem man im Roman beschreibt, wie einem die Geliebte während des Kinobesuchs autofiktional einen bläst. So bei Léonard, der seine ganze Karriere darauf gebaut hat, das eigene Leben ohne Rücksicht auf andere als Literatur zu verbraten.

Man sitzt also auf bequemen Stühlen und Sofas in angenehm ausgeleuchteten Runden zusammen, trinkt guten, vermutlich sogar sehr guten Wein, lamentiert über E-Books und Blogs und über das Verschwinden von Zeiten, die man als wenn nicht gut, dann doch allemal besser als die Gegenwart imaginiert. Man hat Karrieren gemacht, sie sind okay, aber doch eher mittel: Léonards Bücher verkaufen sich schlecht, gerade hat er noch dazu einen kleinen literarischen Shitstorm an der Hacke, Alain weist das Manuskript seines jüngsten Romans zunächst gar zurück. Selena spielt in einer erfolgreichen Polizeiserie, aber hatte einst höhere Ambitionen. Alains Verlag ist anspruchsvoll, aber notorisch defizitär, in einem Nebenstrang geht es darum, dass er von einem Investor an einen anderen verkauft werden soll. Alle haben oder hatten sie untereinander Affären, es wundert keinen, es ist allen ziemlich egal.

Man sitzt auf bequemen Sofas und sinniert über Zeiten, die allemal besser waren als die Gegenwart

Nun ist gegen viel Gerede in Filmen per se nichts zu sagen. Man denke an Eric Rohmer, der aus scheinbar einfachen Dialogen die subtilsten moralischen Konflikte entwickelt. Oder zur Not an Agnès Jaoui, die sich immerhin größere Mühe gibt mit der Konstruktion von komödiantisch ausbeutbaren Plots. Nun ist aber an „Zwischen den Zeilen“, dem deutschen Titel zum Trotz, gar nichts subtil. In die Konstruktion des Plots wurde keine Arbeit gesteckt. Alles wird in den Dialogen ausbuchstabiert. Assayas surft auf aktuellen Medienblasendiskursen entlang, macht aber ein Wörterbuch der verfilmten Gemeinplätze daraus. Man wird nur den Eindruck nicht los, er verstehe das als eine Art gesellschaftskomödiantisch verbrämten Ideenroman.

„Zwischen den Zeilen“ meint das – auch der Originaltitel „Doubles vies“, Doppelleben, deutet darauf hin – alles sicher ein wenig kritisch, es wird aber an keiner Stelle zur schneidenden Analyse. Der Film bleibt viel eher sympathetisch und damit Symptom und Teil der bequemen Lebenslügen, in die er seine Figuren verstrickt. Vielleicht versteht Assayas die Figur des Verlegers sogar als eine Art Selbstporträt: Alain ist sehr bemüht darum, den Anschluss an die Gegenwart nicht zu verpassen, weshalb er sich auch die übereifrige Laure ins Haus (und ins Bett) holt. Im Grund seines Herzens ist er jedoch so kulturkonservativ wie alle anderen auch. Keine Lust auf Zukunft, keine Neugier auf die neuen Technologien, sondern einzig der Wunsch, nicht als alter weißer Mann der Vergangenheit dazustehen.

Assayas hat sich seine Figurenkonstellation, seine Dialoge und seinen Plot so gedreht, dass Alain zur Verkörperung einer Melancholie wird, die das ganze Blasenmilieu durchdringt, das der Film an keiner Stelle verlässt. So wird diese mit sich und der Welt letztlich sehr einverstandene Melancholie zur Position des Films selbst, der in seiner ästhetisch gut abgehangenen unaufdringlichen Konversationsform die Selbstgefälligkeit des Personals und deren Mangel an analytischer Schärfe einfach verdoppelt. Am Ende findet ein Paar wieder zusammen und es kündigt sich am aus der Pariser Gesellschaft entrückten Ort eine Geburt an. Man kann das kaum anders als Wunsch des Films zur Versöhnung mit den verlogenen Leben seiner Figuren verstehen. Spätestens jetzt möchte man zur Gelbweste greifen.

„Zwischen den Zeilen“. Regie: Olivier Assayas. Mit Guillaume Canet, Juliette Binoche u. a. Frankreich 2018, 107 Min.

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