gottschalk sagt
: Unter uns Pastorentöchtern

Christian Gottschalk lebt in Köln und sagt die Wahrheit – auch zum Weltjugendtag

Plötzlich fingen alle an, sich zu umarmen, das gehörte irgendwie zur Inszenierung des Riesenwjteröffnungsgottesdienstgroß-bildleinwandmegaevents am Dienstag im Rheinenergie-Stadion dazu. Schade, dass ich nicht mehr wie zu Beginn direkt neben unseren braunen Pro-Köln-Ratsmitgliedern Manni Rouhs und Bernd M. Schöppe stand. Da hätte der Rouhs aber geguckt, wenn ich ihn umarmt hätte im Angesicht des Herrn, und der rustikale Herr Schöppe erst recht. Der hätte vermutlich vor Schreck das Frömmeln vergessen und mir voll eine gescheppert.

In Wirklichkeit dachte ich: „Hoffentlich umarmt mich keiner von den jungen Christenmenschen, dann muss ich bestimmt weinen.“ Ich armer kleiner Atheist fühlte mich so verloren inmitten dieser sonderbaren Welt: Da waren Männer und Frauen in kirchlichen Gewändern, manche von ihnen trugen Funkgeräte mit Headset, andere knieten zum Gebet. Sacro-Pop-Gesänge erfüllten das Stadion. Später opferten die Christen ihrem Gott ein Fass Bier. (Vielleicht ist der ja doch ganz O.K.; andere Götter verlangen frisch geschlachtetes Huhn oder schlimmeres!). Und die Jugend der Welt winkte mit aufblasbaren Winkehänden in Telekom-Farbe einem ältlichen Konservativen mit schlimmen Meinungen zu. Meisners Predigt wurde ständig von frenetischem Applaus unterbrochen, das kannte ich aus der evangelischen Titusgemeinde Hannover-Vahrenheide so nicht. Auch eine dem Schlachtenbummlertum ähnelnde Papstverehrung hinterlässt mich eher ratlos: „Be-ne-detto! Klatsch, klatsch, klatsch“. Unter uns Pastorentöchtern: Dieser Tage habe ich öfter den Eindruck, die Jugend der Welt hat ziemlich einen an der Schüssel.

Nach dem Gottesdienst kam das Unterhaltungsprogramm, beginnend mit dem Einmarsch der Roten Funken, ich sage nur: „Ein herrlisches Bild!“. Mein Gefühl der Fremdheit verschwand. Endlich normale Leute! Ich fuhr mit dem Fahrrad in den Feierabend, während sich die Jugend der Welt in den stehenden Zügen der Kölner Verkehrsbetriebe körperlich näher kam.