strafplanet erde: alter herr zwischen den pfosten von DIETRICH ZUR NEDDEN
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Gemächlich hatte es die ganze Nacht geregnet, entschlossener regnete es nach Tagesanbruch und als sich der Vormittag lapidar neigte, regnete es noch immer. Ich war berufen, musste los, versprochen ist versprochen. Saisonauftakt der Alten Herren.

Vor dem Anpfiff bedarf die kristallin klare Beschreibung einer Korrektur. Rumpelfüßler vom 33. Lebensjahr an werden nicht mehr als Alte Herren abgestempelt, sondern sind Senioren. Bis hinunter zur Kreisklassen-Ebene haben die allfälligen Antidiskriminierungskampagnen Wirkung gezeigt.

Als die Anfrage zwecks seniorisch-sensorischen Torhütens an mich herangetragen wurde, ließ ich mich nicht lange bitten. Auch dieser Teil des Ganzen ist unwahr. Ich ließ mich sehr lange bitten. Immerhin sind erst 30 Jahre vergangen, seit ich an einem hellen, heldischen Tag die Norddeutsche Meisterschaft klar gemacht habe. Kurz vor Schluss dribbelte der Auswahlstürmer der Lübecker den Ball mit seiner flink zustoßenden Fußspitze immer dichter heran, ein scharfer Flachschuss, die geglückte, des panthergleichen Jaschin würdige Parade, ein lange anhaltendes Prickeln …

Über Monate dehnten sich die Verhandlungen für mein Comeback. Apropos Dehnen: Die Erzeugung eines guten Muskelgefühls stand ganz oben auf der Agenda. Ich konsultierte Erich Deuser, die Legende. Nichts ließ der Zauberer mit den heilenden Händen aus: Streichungen, Knetungen, Reibungen, Walkungen, Vibrationen und Schüttelungen in fein abgestimmtem Rhythmus. Klopfung, Klatschung und Hackung vermied er rigoros. Reine Sportmassagen-Magie.

Dann war es so weit. Der trostlose Himmel färbte den denkwürdigen Tag grau, der Boden im Fünfer aufgeweicht zu grieseldickem Matsch, der Ball fettig wie ein Döner, im Kopf pochte der Nachhall des vorabendlichen Bierstemmens. Nicht ein einziges Mal hatte ich den Ball berührt, als der kurzbeinige Kapitän der gegnerischen Mannschaft aus 20 Metern draufhielt, sein Wanstgewicht nahm dem Schuss die Wucht. Bogenlampen abzuwehren ist nie meine Stärke gewesen. Dann klaubte ich den Ball aus dem Netz.

Es regnete unverdrossen, gnädig verlagerte sich das Spiel auf die andere Seite des Feldes. Passend wären jetzt ramponierte Krähen gewesen, die mit ihrem dreisten Gekrächz um die drei prächtigen Kastanien kreisen. Stattdessen das glitschige Spritzen der Reifen auf dem Asphalt der Stadtautobahn jenseits der Platanenreihe.

Nach dem dummen 0:2 ein vages Hin und Her in der Hälfte des Gegners. Flüche, Kommandos, Verwünschungen, die Pfeife des Schiedsrichters, dessen Laufwege den Anstoßpunkt eng umzingelten, das dumpfe Gekicke, all das war nun ohne jede Bedeutung. Statt Hüter eines Fußballtores war ich Hüter einer fantastischen Illusion. Lehnte mit verschränkten Armen am rechten Pfosten und genoss den Luxus, die Augen zu schließen, meinem Herzschlag zu lauschen, das blinde Nieseln auf dem Gesicht zu spüren, und stellte mir vor, dass ich, als Alter Herr in der Kreisklasse, ein epigonales Regen-Sonett zu dichten vermochte. Ein Fehlschlag. 0:3. Was Wunder, dass anschließend niemand fragte, ob ich am kommenden Wochenende wieder dabei sei.