europaplatz
: Iryna Tsilyk in Kiew

Iryna Tsilyk ist eine ukrainische Filmemacherin und Autorin. Sie hat acht Bücher veröffentlicht, die in zehn Sprachen übersetzt wurden. Derzeit arbeitet sie an ihrem ersten dokumentarischen Langfilm über Zivilisten, die in einem Kriegsgebiet leben.

Переді мною стоїть непроста задача – показати з найвиразнішого боку одну з головних площ мого міста. Ось, наприклад, Український дім, в минулому – Музей Леніна. Колись в іншому житті мене там приймали в “жовтенята“1: білі банти й гольфи, на грудях – червона зірочка із зображенням маленького кучерявого Володі Ульянова. Ой, краще нехай у кадрі буде Філармонія, а також Моцарт, Гайдн, Штраус і всі ці інші симпатичні мені персони. Чи одна з найдавніших бібліотек України? Або Національний художній музей? Там теж хороша компанія. Хоча ні, я досі не можу спокійно дивитися в цей бік: саме тут під час Української революції 2014-го загинули перші люди. Бідний мій Київ … Куди не повернися, всюди видно його застарілі шрами і травми. Скільки разів називали цю площу на честь різних царів і диктаторів? Російський імператор Олександр II, Сталін, Ленін; були часи – площу планували перейменувати на честь Гітлера. І все ж щось повертається на круги своя: нині вона знову “Європейська“, як і колись в XIX ст. Бідна моя Європа ходить колами … Як повернути камеру? В якому ракурсі зловити суть?

In ganz ­Europa gibt es Europa­plätze, von Lissabon bis Vilnius. Aber ist an diesen Orten auch Europa? Und wenn ja, wie viel? Lyriker*innen und Auto­r*in­nen haben sich für uns auf die Suche begeben. (taz)

Ich stehe vor der schweren Aufgabe, einen der wichtigsten Plätze meiner Stadt aus der ausdrucksvollsten Perspektive zu zeigen. Hier ist zum Beispiel das Ukrainische Haus, früher Leninmuseum. In einem anderen Leben wurde ich dort als „Oktoberkind“ aufgenommen: weiße Schleifen und Strümpfe, auf der Brust roter Stern mit der Abbildung des kleinen, lockigen Wolodja Uljanow. Nein, nein, nehmen wir besser die Philharmonie ins Bild. Und mit ihr den Mozart, den Haydn, den Strauss und all die anderen mir sympathischen Figuren. Oder lieber eine der ältesten Bi­blio­theken der Ukraine? Oder das Nationale Museum der Künste? Da wäre ich auch in guter Gesellschaft. Aber nein. In diese Richtung zu schauen bin ich bis heute nicht imstande: Gerade hier sind während der Ukrainischen Revolution im Jahr 2004 die ersten Menschen gestorben. Mein armes Kiew. Wo man auch hinschaut, überall sind seine alten Schrammen und Brüche zu sehen. Wie oft wurde dieser Platz zu Ehren verschiedener Zaren und Diktatoren benannt? Nach dem russischen Imperator Alexander II., nach Stalin und Lenin; es gab Zeiten, da trug der Platz den Namen Adolf Hitlers. Doch jetzt schließt sich der Kreis. Heute heißt der Platz wieder Europaplatz, wie einst im 19. Jahrhundert. Mein armes Europa dreht sich im Kreis. Wohin soll ich meine Kamera wenden? Aus welcher Perspektive erhasche ich den Sinn?

Aus dem Ukrainischen von Irina Serdyuk