Kronzeugen der Arbeiterbewegung

SPD-Chef Müntefering und DGB-Chef Sommer gehen ins Kino und geben Auskunft über die Folgen der Globalisierung. Den „Gürtel enger schnallen“ wollen sie nicht. Pepe Danquarts Film „Workingman’s Death“ ist trotzdem sehenswert

„Müssen wir den Gürtel enger schnallen, wenn die Chinesen kommen?“

VON ULRIKE WINKELMANN

Und, fragt der Vater seine gerade erwachsene Tochter, „was sagt die Soziologin dazu?“ Zögern. „Ach du Scheiße.“ Zögern. Und: „Uns geht’s viel zu gut.“

Offenbar braucht es kein Soziologiestudium, um von Michael Glawoggers und Pepe Danquarts Film „Workingman’s Death“ etwas zu verstehen. Der wurde gestern Morgen mehreren hundert Menschen auf Einladung der SPD und des Gewerkschaftsbundes DGB im Berliner Delphi-Filmtheater gezeigt.

Diese „Vorpremiere“ sollte laut Danquardt nur lose etwas mit der Bundestagswahl zu tun haben: „Ich will nicht Politik machen“. Aber an dem, was SPD, Grüne und Gewerkschaften derzeit machten, wolle er sich mit dem Film „beteiligen“. Dankbar dafür waren ihm SPD-Chef Franz Müntefering und DGB-Chef Michael Sommer. Die wurden nach dem Film vom Moderator als „Kronzeugen der Arbeiterbewegung“ zu Danquart auf die Bühne vor die Leinwand gebeten.

Doch was sollen ein deutscher Gewerkschafts- und ein deutscher Arbeiterparteiführer dazu sagen, dass ukrainische Bergleute, in vierzig Zentimeter hohen Stollen liegend, tief in einem Berg mit Hammer und Pickel Kohlebrocken schlagen – illegal, versteht sich, und auch noch ständig in Todesgefahr? Dass Wanderarbeiter an der Küste Pakistans alte Tanker mit ebenso alten Schweißgeräten unter halsbrecherischen Bedingungen zerlegen und die Stahlstücke per Hand zu Hügeln stapeln? Die Lakonie einer Soziologiestudentin ist ihnen verwehrt.

Zwar weiß Müntefering: „Die Dinge, die wir hier preiswert kaufen können, werden in anderen Ländern unter unwürdigen Bedingungen geschaffen.“ Doch mit dem Appell „Kauft deutsch“ ist die grüne Ministerin Renate Künast erst vor wenigen Tagen eher unangenehm aufgefallen.

Wie gut, dass der Moderator kurzschlüssige Fragen stellt: „Müssen wir den Gürtel enger schnallen“, wenn etwa die Chinesen rund um die Uhr ihre Produktion aufstocken? „Es muss nicht dazu führen, dass wir den Gürtel enger schnallen, wenn den Menschen dort eine Chance gegeben wird“, sagt Müntefering. Nur müsse ein Hochlohnland auch Hochleistungsland sein, was wiederum mit Bildung zu tun habe. Es folgen warme Worte an die Schulklassen im Saal.

Nun ist Müntefering Chef der Partei, die anlässlich der Wahl davon Abstand genommen hat, für ein einheitliches Schulsystem zu werben, damit arme und nicht deutschstämmige Kinder auch einmal eine Hochleistungschance bekommen. Daran erinnert ihn DGB-Chef Sommer – freilich nur sehr indirekt: „Auch in unserem Land gibt es massenhaft Ungerechtigkeiten und wird jungen Leuten Bildung vorenthalten.“ Im Übrigen wüsste er gerne, wo das Geld hingehe, wenn zum Beispiel der deutsche Bergarbeiter den Gürtel enger schnallte – „kriegt das dann der Kollege in der Ukraine?“.

Spitzer wird SPD-Mitglied Sommer auch an diesem Punkt nicht. Er kritisiert die rot-grüne Regierung längst nicht mehr für eine Politik, mit der zwar die Unternehmensgewinne vervielfacht, nicht aber die Löhne aufgestockt werden.

Alle Gewerkschaftsführer wissen in diesen Tagen, wo ihr Platz ist: an der Seite der SPD. Gestern erst streute die IG Bergbau, Chemie, Energie (BCE) ein Papier, in dem sie sich von der Linkspartei abgrenzt – zu „populistisch“. Beim DGB wird zwar vermutet, dass mittlerweile gut 20 Prozent der Basis dem Linksbündnis zuneigen. WASG-Regionalfürsten sind meist Gewerkschafter. Doch hat man an der Spitze beschlossen, dies vorläufig zu ignorieren. Sommer pflegt auch zu bestreiten, dass es Spaltungstendenzen gibt.

„Was DGB und SPD eint“, sagte Sommer gestern, „ist die gemeinsame Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung“: daran, dass in aller Welt Gewerkschaften aufgebaut werden, die sich gegen tödliche Arbeitsbedingungen wehren. Bei den ukrainische Kohleschürfern oder den Schiffezerlegern in Pakistan wird diese Botschaft nicht ankommen. Aber vor Ort heißt das: Apparate sind dicker als Meinungen.