„Vorschriften ausgehöhlt“

INKLUSION Anwalt Tolmein hält es für bedenklich, dass der Senat Stellen intern ausschreiben will und Behinderten die Chance nimmt, sich zu bewerben

■ 50, ist Rechtsanwalt und Mitbegründer der Kanzlei „Menschen und Rechte“, die Menschen mit Behinderungen vertritt.

taz: Herr Tolmein, der Hamburger Senat will sparen und plant, Stellen für gewisse Zeit nur noch intern auszuschreiben. In der Folge würden diese nicht mehr schwerbehinderten Interessenten gemeldet. Ist das zulässig?

Oliver Tolmein: Ich kenne drei Entscheidungen, die so eine interne Ausschreibung im Einzelfall gebilligt haben. Diese Entscheidungen sind sehr kritisch kommentiert worden, weil selbst für den Fall, dass ein Land sparen will, der Wortlaut des Paragraphen 82 des neunten Sozialgesetzbuchs (SGB IX) eindeutig die Meldung einer frei werdenden und neu zu besetzenden Stelle an die Agentur für Arbeit verlangt. Es geht darum, zu verhindern, dass diese Schutzvorschriften ausgehöhlt werden. Wenn Hamburg hier mit seiner Drucksache „Personalwirtschaftliche Maßnahmen“ diese Benachrichtigung generell umgehen will, ist das rechtlich in hohem Maße bedenklich.

Das Gesetz gibt Schwerbehinderten das Recht, von freien Stellen beim öffentlichen Arbeitgeber zu erfahren und auch zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Was nützt ihnen das in Zeiten des Stellenabbaus?

Es gibt Menschen mit Behinderung die Chance, sich zu bewerben und im Gespräch auf ihre Qualitäten und Möglichkeiten aufmerksam zu machen. Eine Verweigerung so einer gezielten Förderung der Beschäftigung behinderter Menschen stellt nach der UN-Behindertenrechtskonvention bereits eine Diskriminierung dar. Natürlich macht so ein Gespräch nur Sinn, wenn es eine Chance gibt, die Stelle zu bekommen.

Also macht es in diesen Zeiten keinen Sinn?

Doch das macht es. Es ist ja nicht so, dass gar keiner mehr eingestellt wird. Und wichtige Behörden in Hamburg erreichen nicht mal die gesetzlich vorgeschriebene Quote von fünf Prozent schwerbehinderten Beschäftigten. Mit dieser Drucksache würde dieser Zustand dauerhaft verfestigt. Es müssten mehr Menschen mit Behinderungen eingestellt werden. Dazu hat sich gerade erst Bürgermeister Olaf Scholz im Vorwort des neuen Hamburger Teilhabeerlasses für die Eingliederung von Schwerbehinderten bekannt. Insofern sind die Signale des Senats sehr widersprüchlich.

Ist Hamburg behindertenfeindlich?

Sagen wir so: Die Stadt hat sich in der Vergangenheit nicht als besonders behindertenfreundlicher Arbeitgeber erwiesen. Unsere Kanzlei vertritt viele Betroffene. Eine Frau im Rollstuhl musste fünf Jahre dafür streiten, auch vor dem Verwaltungsgericht, dass sie zum Referendariat zugelassen wurde. Die Behörde will Inklusion in der Schule, aber sie sollte nicht Lehrerin werden. Die Autoren der Drucksache, über die wir hier sprechen, wollen vielleicht nicht aktiv ausgrenzen, sie nehmen die ausgrenzenden Effekte aber gelassen in Kauf.

Was kann denn der Stadt passieren?

Die Schwerbehindertenvertretung könnte gegen eine entsprechende Vorgehensweise im Einzelfall klagen. Auch ein einzelner Stelleninteressent kann dies tun. Nur muss er dafür auch von der Stelle erfahren. Die Schadenersatzsummen sind eher gering. Insofern ist das finanzielle Risiko für die Stadt tatsächlich nicht groß. Der politische Verlust wiegt hoffentlich schwerer. INTERVIEW: KAIJA KUTTER