Ackerbau, Videostill und Viehzucht

GRUPPENAUSSTELLUNG „Hungry City“ im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien befasst sich mit der Geschichte von Guerilla Gardening, Environmental Art und der Faszination, die die Landwirtschaft als Sujet auf Künstler ausübt

Ist eine der ältesten Kulturtechnik der Welt doch nicht dem Untergang geweiht?

VON SUSANNE MESSMER

Man sieht Hühner, Kühe, einen Mähdrescher. Aus dem Off erzählt ein Bauer von seiner Arbeit. Er spricht von „innerer Zufriedenheit“ und von „Glücksgefühlen“, wenn er zum Beispiel einer Kuh beim Kalben behilflich sein kann. Er spricht aber auch von der Veränderung seines Berufes in den letzten Jahren, von der lästigen „Flut der Regularien“ – und von der Zukunftsangst, von „Agrarfabriken statt bäuerlichen Familienbetrieben“ und von „Dörfern ohne Bauern“. Die Art, wie Bauer Lücke aus Heiligendorf in Niedersachsen spricht, wirkt einstudiert, fast ein wenig gestelzt, als hätte er sich im Vorfeld sehr genau zurechtgelegt, was er erzählen mag.

Es ist genau diese Künstlichkeit, die der Videoarbeit Antje Schiffers’ und Thomas Sprengers mit dem Titel „Ich bin gerne Bauer und will es auch gerne bleiben“ ihren Charme verleiht, die derzeit in der Sammelausstellung „Hungry City“ im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien zu sehen ist. Man hat das Gefühl, als hätten die beiden Künstler die zahlreichen von ihnen gefilmten Bauern gebeten, sich selbst zu inszenieren – ein Stilmittel, das auch in der Porträtfotografie für viel Augenhöhe zwischen Darstellendem und Darzustellendem sorgt. Seit 2000 beziehungsweise 2008 tauschen Antje Schiffers und Thomas Sprenger die Erlaubnis, Bauern in aller Welt zu filmen, gegen ein selbst angefertigtes Ölgemälde von ihrem Hof.

Wurzelsuche auf dem Land

Wie Antje Schiffers’ und Thomas Sprengers Arbeit verdeutlicht, ist „Hungry City“ eigentlich ein irreführender Titel für die große und sehr erhellende Ausstellung im Kunsthaus Kreuzberg/Bethanien – geht es doch vielen Künstlern nicht nur ums derzeitige Modethema Guerilla Gardening oder – weiter gefasst – um Landwirtschaft in der Stadt, die sich zunehmend zu einem Ort für Kleinstlandwirtschaft wandelt.

Sehr viele Arbeiten befassen sich auch mit Wurzelsuche, mit den Veränderungen auf dem Land, das sich zunehmend zu einem Ort der Agrarindustrie wandelt. So ist Antje Schiffers in der Ausstellung gleich zwei Mal vertreten: Mit „Ich bin gerne Bauer und will es auch gerne bleiben“ und mit der mobilen „Bibliobox“ voller Bücher, Filme, Postkarten und CDs zum Thema – Rural oder auch Environmental Art.

Die hat sie mit ihrem Künstlerkollektiv myvillages.org zusammengetragen. Die Künstlerinnen – neben Antje Schiffers Kathrin Böhm und Wapke Feenstra – erwähnen immer wieder, dass sie selbst in ländlichen Gemeinden aufgewachsen sind. Im letzten Jahr haben sie im Haus der Kulturen der Welt eine spektakuläre Kunstaktion zu Ende gebracht. Ein Jahr lang legten die Frauen zum Zwecke der Verköstigung der Besucher eines Festivals eine Vorratskammer an, trafen Produzenten, pflückten und trockneten, pökelten und weckten ein, suchten Ackerflächen, Milchbauern und Schnapsbrennereien, die vor allem in und um Berlin jenseits von Existenz- und Leistungsdruck arbeiten können.

World Trade Weizenfeld

Die Trennung zwischen Stadt und Land existiert nicht mehr – das ist die zentrale These, um die es allen Künstlern geht, die in der Ausstellung „Hungry City“ vertreten sind. Man sieht auf Fotos die in New York lebende Künstlerin Agnes Dennes über ihr Weizenfeld stapfen, das sie 1982 auf extrem teurem Land direkt vor dem World Trade Center anlegte. Man sieht Fotos eines Bauernhofs unter einem Highwaykreuz in San Francisco, den die Performancekünstlerin Bonnie Ora Sherk 1974 gründete. Guerilla Gardening begann bereits vor 40 Jahren.

Eine der schönsten Gegenüberstellungen, die „Hungry City“ zustande bekommen hat, sind aber die Erzählungen der Fotografien von Heinrich Riebesehl, Ève K. Tremblay aus Kanada und die Videoarbeiten des Polen Lukasz Skapski. Auf der einen Seite menschenleere „Agrarlandschaften“ Riebesehls in Schwarz-Weiß aus den Siebzigern: Der Futterrübenberg, der Anhänger voller Kartoffeln, der weite Acker, wie man es nur noch kennt, wenn man durch extrem dünn besiedelte Landschaften wie die von Brandenburg fährt. Auf der anderen Seite Tremblays „Tales without Grounds“ und „Postures scientifiques“ aus den nuller Jahren, auf denen die Lebensmittelproduktion von heute in Szene gesetzt wird: in Laboratorien und futuristischen Gewächshäusern. Und schließlich: Skapskis utopischen Film „Machines“, in denen polnische Kleinbauern stolz ihre kuriosen Traktoren vorführen. Sie haben sie selbst gebaut, denn zu Zeiten des Sozialismus kamen private Betriebe nur schwer an Traktoren heran. In der Art, wie diese Bauern von ihren Traktoren schwärmen, steckt viel Schläue, Anarchie und Widerstand. Sie machen direkt Hoffnung. Hoffnung, dass eine unserer ältesten Kulturtechniken vielleicht doch noch nicht ganz dem Untergang geweiht ist.

■ Bis 28.Oktober, Kunstraum Kreuzberg/Bethanien; die Ausstellung bietet ein Begleitprogramm mit Ausflügen, Märkten und Gartenbauakademien, www.kunstraumkreuzberg.de