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Wahrheit von der Lüge unterscheiden

Fake News, gefälschte Videos, gezielte Desinformation in den sozialen Medien – Journalisten müssen im Kampf um die Pressefreiheit stets Vorbild sein

Von Ines Pohl

Am 3. Mai feiern wir den Tag der Pressefreiheit, obwohl es zum Feiern wenig Grund gibt. Denn der Traum, technologischer Fortschritt könne den freien Fluss an Informationen weltweit erleichtern, ist verflogen. Den Kopf in den Sand zu stecken ist allerdings keine Alternative. Drei Vorschläge für eine nachhaltige Stärkung der Pressefreiheit:

Medienkompetenz gegen Propaganda

Publikationsverbote, Entzug der wirtschaftlichen Grundlage und Gefängnisstrafen sind Verhaltensmuster repressiver Staaten, die leicht zu durchschauen sind. Sie sind Belege, dass die politische Klasse sich bedroht fühlt. Dabei hat das Publikum ein sehr feines Gespür und versteht schnell, wenn freie Information unterbunden wird.

Inzwischen gibt es Gefahren, die nicht so leicht zu durchschauen sind, allen voran die virale Struktur des Internets: Menschen, zunehmend auch Maschinen, verbreiten Lügen, gefälschte Videos und Fotos, die gezielt manipulieren sollen. Fake News, Desinformations-Kampagnen auf Social Media, Verleumdungen und Drohungen sind Alltag geworden. Zunehmend sind echte Kommunikationsprofis am Werk – wie beispielsweise bei Russia Today und leider auch bei Al Jazeera.

Ihre Sendungen wirken freundlich, manchmal witzig und gewitzt. In einer komplizierten Welt locken sie mit dem Angebot zu vereinfachen. Gleichzeitig versuchen Regierungen, das Internet zu zensieren. Diese Tendenz unfreier Staaten, das Netz abzuschotten, nimmt immer mehr zu. Iran, China, auch Russland und die Türkei sind betroffen.

Hierauf existiert nur eine Antwort: Die Menschen müssen lernen, die Lüge von der Wahrheit zu unterscheiden. Dabei muss auch vermittelt werden, dass am Ende nicht nur die Medienfreiheit bedroht ist, sondern auch die Freiheit, im „privaten“ Raum, seine Meinung sagen zu können, ohne Repressionen befürchten zu müssen.

Ines Pohl

Jahrgang 1967, ist seit März 2017 Chefredakteurin der Deutschen Welle. Zuvor war sie USA-Korrespondentin der DW und bis 2015 sechs Jahre Chefredakteurin der taz.

Politiker in die Pflicht ­nehmen

Demokratische Politiker aus der ganzen Welt, auch aus Europa und Deutschland, überbieten sich im Versuch, China zu hofieren. Dass Pressefreiheit in diesem Land nicht existiert und Auslandssender wie die Deutschen Welle völlig blockiert werden, spielt keine Rolle. Vertreter der Wirtschaft denken bei China mehr ans große Geschäft als an die Menschenrechte.

Auch in Iran sind es die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die diskutiert werden, nicht aber, dass über 20 Journalistinnen und Journalisten in den Foltergefängnissen der Revolutionsgarden sitzen. In Bangladesch und Pakistan riskieren Blogger ihr Leben, wenn sie kritisch über den immer stärker werdenden Islamismus in ihrem Land berichten. Ernstzunehmende Hilfe aus dem Ausland – Fehlanzeige. Die Welt feiert den saudischen Kronprinzen, weil Frauen nun ins Kino und in Sportstadien dürfen, und es ihnen jetzt sogar erlaubt ist, Autos zu fahren. Wo aber bleibt der Aufschrei darüber, dass der Blogger Raif Badawi noch immer in einem saudischen Gefängnis sitzt?

Die Liste ließe sich lange fortschreiben. Es ist eine traurige Liste. Und heute ist ein guter Tag, sich vorzunehmen, Politikerinnen und Politiker auch daran zu messen, was sie gegen die Angriffe auf die Pressefreiheit tun. Zeigen sie Diktatoren klar und deutlich, was unsere Werte sind? Sind sie bereit, auf Deals zu verzichten, wenn diese Werte eklatant verletzt werden? Verknüpfen sie die Bereitschaft, Entwicklungshilfe zu leisten mit der Situation der Menschenrechte und der Pressefreiheit?

Die Journalisten – der entscheidende Faktor

Pressefreiheit wird nicht nur von oben gegönnt oder gewährt. Der gesetzliche Rahmen ist das eine, die innere Einstellung jedes einzelnen Journalisten das andere. Gerade Journalisten aus Ländern mit einem freiheitlichen Mediensystem sollten für Kollegen, die in schwierigen Verhältnissen arbeiten, Vorbild sein.

Journalist zu sein heißt, immer wieder den eigenen Überzeugungen – oder denen der Kollegenschar – misstrauisch gegenüber zu stehen und aus einer Gewissheit wieder eine Frage zu machen. Und ja, dabei keine Angst davor zu haben, Applaus von der falschen Seite zu bekommen.

Ich sehe beispielsweise die Diskussion, ob wir in Deutschland mit AfD-Politikern sprechen sollten, mit großer Sorge. Wenn wir ganze politische Gruppierungen, unliebsame Politiker oder andere öffentliche Figuren ignorieren, die nicht in unser Weltbild passen, reißen wir eine Lücke auf, die dann von anderen gefüllt wird. Damit schaden wir am Ende der Pressefreiheit, die wir am heutigen Tag ­feiern wollen.

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