Die Schlaghose hängt am Haken

Alte Liebe (2): Den Techno-Paraden gehen die Bässe aus. Der Hamburger G-Move hat die Bewegung eingestellt und auch die Berliner Love Parade ist längst verblichen. Nur Bremen und Hannover zappeln trotz Besucherrückgang weiter

Es prickelt nicht mehr, aber ganz verschwinden wird sie nie, die alte Liebe. Die taz nord würdigt in einer Serie Freizeit- und Kulturvergnügungen, die dereinst hip waren – und heute auf kleiner Flamme und in veränderter Gestalt weiterköcheln.

Reinkarnation. Der ewige Kreislauf von Wiedergeburt und Tod. Kurz vor letzterem stand in diesem Jahr die „Reincarnation“, die 11. Technoparade in Hannover. Stillstand durch rückläufige Sponsorengelder. Die häufigste Todesursache des Karnevals der elektronischen DJ-Musik.

Die Reincarnation-Parade hat es gerade noch geschafft, nicht neben ihren Geschwistern G-Move (Hamburg) und Love Parade (Berlin) in der Technogruft zu landen. 60.000 bis 65.000 Euro sind notwendig, um den LKW-Umzug durch Hannover zu schieben, so die Veranstalter, die mit 300.000 Teilnehmern rechnen. 100.000 waren’s im letzten Jahr. Bei der Bremer Vision Parade Ende Juli zählte die Polizei 20.000 teilnehmende Köpfe, der Veranstalter hingegen 40.000 – vermutlich Füße.

20 LKW, besetzt mit selbstverliebt Tanzenden, die für einen Stehplatz auf der Ladefläche bis zu 50 Euro zahlen und dafür gratis eine Trillerpfeife erhalten, werden am kommenden Samstag durch Hannovers Innenstadt raven. Im Schlepptau die tanzend folgende Zufußgemeinde. Die Zuschauer am Wegesrand, die sich der Nacktheit der LKW- Besatzungen erfreuen, werden nicht mit Bonbons bombardiert wie beim Schützenfestumzug, sondern mit Konfetti, Bässen und Schaum.

Techno-Partys sind Ende der 1980er Jahre entstandenen. Englische Party-Veranstalter riefen auf Mittelmeerinseln den „Second Summer of Love“ aus. Zu Beginn der 1990er begannen die Digitalmusik-Karnevalisten ihre wummernden Musikkreuzzüge in großen deutschen Städten und etablierten eine Jugendkultur, die den „Raver“, das gut gelaunte Tanz-Monstrum ausspuckte. Später lichtete sich der Trance-Nebel, und die Tobenden setzten bei der Love-Parade in Berlin ganze Stadtteile mit RaverInnen-Pippi unter Wasser. Kein Chemietoilettenlieferant war zu finden, dem danach war, die Hälfte seiner als Tanzbühnen und Aussichtsplattformen missbrauchten und demolierten Kunststoffkabinen samt Inhalt zu entsorgen.

Mittlerweile hängt so manche Schlaghose und so mancher Plateauschuh für immer am Haken. Die Bässe haben ihre Durchschlagskraft verloren. Läden mit typischer RaverInnen-Bekleidung müssen schließen. Auch die Veranstalter der weltgrößten „Street-Parade“ rund um den Züricher See mit bis zu einer Millionen Beteiligten sehen den Zenit längst überschritten.

Erinnerten die früheren Paraden mehr an einen Karneval mit bunten Kostümen und viel nackter Haut, wird heute der Anteil der „normal“ Gekleideten immer größer, und viele begnügen sich mit Verkleidungsvarianten wie Schnurrbart oder Perücke: Die Parade ist zu einem Straßenfest geworden. Jörg Heynlein