„Jedes Einzelschicksal prüfen“

CDU-Abgeordneter stellt nach Afghanistan-Besuch Abschiebe-Praxis des Senats infrage: Rückkehr für viele Betroffene „sozial und kulturell problematisch“. Pauschal könne keine Gruppe als ungefährdet gelten. Heimkehrer strandeten hilflos in Kabul

von Eva Weikert

Jens Grapengeter mag keine Verallgemeinerungen. Drei Monate, nachdem der CDU-Senat mit Abschiebungen nach Afghanistan begonnen hat, ist der Unions-Abgeordnete in der Bürgerschaft jetzt durch das Bürgerkriegsland gereist. „Abschiebungen dorthin sind sozial, gesellschaftlich und kulturell problematisch“, lautet sein Fazit. Darum lehne er „Pauschalregelungen“ ab: „In jedem Einzelfall sind die besonderen Lebensumstände zu prüfen“, fordert Grapengeter – etwa 5.000 Hamburger Afghanen gelten als ausreisepflichtig. Der CDUler stellt damit die Politik von Innensenator Udo Nagel (parteilos) infrage. Dessen Behörde hält für ledige Männer und Ehepaare die Heimkehr für zumutbar und betreibt deren Abschiebung.

Grapengeter, der am Dienstag von seiner dreiwöchigen Tour durch die nördliche Hälfte Afghanistans zurückkam, hat die Provinzen Kundus und Herat sowie die Hauptstadt Kabul besucht. Als Mitglied von Gnadenausschuss und Härtefallkommission der Bürgerschaft habe er sich ein Bild vor Ort machen wollen, erklärte er gestern im Gespräch mit der taz. „Im Hinblick auf die Sicherheitslage sehe ich für Abschiebungen nach Afghanistan kein Problem“, meinte er ungeachtet der Warnungen der Vereinten Nationen und des Auswärtigen Amtes (siehe Kasten).

Alarmiert ist der Parlamentarier, der mit UN-Fliegern und einheimischem Führer das Land bereiste, gleichwohl: Er bezweifle, warnte Grapengeter, dass „hier sozialisierte“ Afghanen „so einfach“ zu verpflanzen sind: „Insbesondere für Jugendliche, die hier fröhlich pubertieren, ist das konservative Milieu dort ein großes Problem.“ Aber auch Erwachsene, die seit langem in Hamburg leben, dürften es „sozial und kulturell schwer haben“. Für Frauen herrsche Kopftuch- oder Burkazwang, paschtunische Frauen dürften nicht arbeiten. Ohnehin gebe es wenig feste Jobs, nur ein Drittel der Bevölkerung sei vollbeschäftigt.

„Gesundheitlich beeinträchtigte“ Menschen sollten zurzeit gar nicht abgeschoben werden, mahnte Grapengeter. Die Therapie Schwerkranker sei selbst in Kabul „nur eingeschränkt möglich“. In den Provinzen sehe es noch düsterer aus: In Herat etwa gebe es für 400.000 Bewohner nur eine 122-Betten-Klinik.

Darüberhinaus steht kaum bezahlbarer Wohnraum bereit. Wie Grapengeter weiß, kostet eine Wohnung im innerstädtischen Bereich von Kabul etwa 250 US-Dollar Miete im Monat. „Das ist außerordentlich viel“, sagt er, weil selbst Polizisten oder Lehrer maximal 100 US-Dollar verdienten: „Die Einmietung ist daher sehr problematisch.“ Weil alle offiziellen Flüchtlingslager in Kabul aufgelöst seien, bauten sich die Menschen zu Tausenden Lehmhütten am Stadtrand. In den Siedlungen gebe es freilich keine Kanalisation, so der Abgeordnete: „Zwischen der Situation dort und Deutschland liegen Welten.“ Eine Rückkehr ohne ein Netzwerk vor Ort „geht nicht“.

Wie Grapengeter kritisch anmerkte, sind weder die UN noch die International Organisation for Migration in Kabul informiert, wenn Hamburgs Ausländerbehörde Ausgewiesene in den Flieger setzt. Die Rückkehrer aber bräuchten Ansprechpartner für zur Verfügung stehende Hilfsangebote. „Wir müssen eine Rückkoppelung zwischen Hamburg und Kabul erreichen“, so Grapengeter, damit die Abgeschobenen nicht strandeten.