Die Freiheit macht zu viel Arbeit

Die Universität Bremen vertraut bei der Auswahl ihrer Erstsemester auch weiterhin auf die Schulnoten. Zwar wollte und könnte sie ihre Studierenden selbst auswählen – doch die nötigen Bewerbungsgespräche sind ihr jetzt doch zu aufwändig

Bremen taz ■ Und das Abitur reicht doch: Wer an der Uni Bremen studieren darf, darüber entscheiden weiterhin zuallererst die Zeugnisnoten. Zwar könnte die Universität sich ihre Studierenden heute weitgehend selbst aussuchen. Doch auf das zuvor eingeforderte Recht verzichtet sie jetzt lieber – die neue Freiheit macht der Uni zu viel Arbeit. Das stellte sich im jetzt laufenden Einschreibungsverfahrens für das Wintersemester heraus. 4.000 Erstsemester wird die Uni immatrikulieren, 10.000 haben sich auf einen Studienplatz beworben.

Angesichts der großen Nachfrage nach den raren Studienplätzen gestand die Wissenschaftsdeputation den Hochschulen im Dezember das Recht zu, in zulassungsbeschränkten Studiengängen 80 Prozent der Studierenden nach eigenen Kriterien selbst auszuwählen. Allgemeine IQ-Tests sind seither ebenso möglich wie Bewerbungsgespräche. Die FDP sah das Ende der „zentralistischen Studentenlandverschickung“ gekommen. Und die Bremer CDU frohlockte: Das Abitur habe als „Testat der Studierfähigkeit ausgedient“. Einen ganzen Katalog von neuen Auswahlverfahren beschloss der Akademische Senat der Uni – insbesondere für Fächer, die besonders überlaufen sind. Das Ziel: die für Bremen geeigneten Studierenden zu finden und die Zahl der Studienabbrecher zu reduzieren.

„Da war viel heiße Luft in der Debatte“, wiegelt nun die Dezernentin für studentische Angelegenheiten der Uni Bremen, Christina Vocke, ab. „Wer zu uns passt, der soll hier auch studieren können.“ Eine Auslese sei nicht im Sinne der Uni Bremen. Der AStA der Uni Bremen spricht mit Blick auf die gesetzlichen Möglichkeiten dennoch von einem „Studienverhinderungsprogramm“: „Das Abitur alleine ist dabei nicht mehr viel wert“, kritisiert AStA-Vorstand Tobias Helfst.

Die einzelnen Fachbereiche jedoch wollten gar keine speziellen Aufnahmekriterien, sagt Vocke – sondern allenfalls einzelne Schulnoten gewichten. Begründung: Der Aufwand für spezifische Tests sei viel zu groß.

Um 50 der 175 Studienplätze in Psychologie per Individualauslese zu besetzen, rechnet Vocke vor, müssten mindestens 200 Auswahlgespräche geführt werden. Setze man jeweils 20 Minuten an, komme schnell eine ganze Arbeitswoche zusammen. Dabei scheut die Uni Bremen nicht nur den Aufwand, sondern zweifelt auch am Nutzen: „Es gibt keinen zuverlässigeren Indikator für den Studienerfolg als die durchschnittliche Abiturnote“, sagte Vocke und beruft sich dabei auf die Deutsche Gesellschaft für Psychologie. Nach einem Gespräch könne man auch nicht besser beurteilen, wer geeignet sei und wer nicht – „denn ausgewählt werden meist diejenigen, die auch in der Schule gut waren.“

Die potentiellen Erstsemester müssen so nun lediglich ein formalisiertes Bewerbungsschreiben einreichen. Aus ihm soll hervorgehen, welche Kenntnisse die AbiturientInnen mitbringen, welche Motivation sie antreibt und wie ihre beruflichen Vorstellungen aussehen.

Die private Universität in Witten-Herdecke hingegen lernt schon seit über 20 Jahren „jeden einzelnen Bewerber ausführlich kennen“, wie Sprecher Olaf Kaltenborn stolz hervorhebt. „Das ist ungeheuer anstrengend, aber es lohnt sich.“ Der Erfolg in den Uni-Rankings gebe Witten-Herdecke recht, sagt Kaltenborn. Ähnliches ist von der TU München zu hören, die allgemein als „Vorzeige-Uni“ gehandelt wird. Rund 1.200 Erstsemester sind es dort allein im Fachbereich Maschinenbau, mehr als 500 von ihnen müssen sich derzeit persönlich bei einem der 30 ProfessorInnen vorstellen. Acht Arbeitstage sind dafür reserviert, zwölf Bewerbungsgespräche finden jeden Tag statt.

Und während die Zahl der Erstsemester in München von 5.000 auf 7.000 ansteigt, nimmt sie an der Uni Bremen um rund 2.000 ab. Jan Zier