Jukebox

Alle Wege führen nach Mendocino

Heimat? „Was allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war“, schrieb der zum Tode hin noch zum Tübinger gewordene Philosoph Ernst Bloch.

Und so war das. Frühe Siebziger, Samstagabend; erst wurde gebadet, dann ging’s im Schlafanzug vor den Fernseher. ZDF-Hitparade gucken. Was in der Seele ein tiefes Empfinden hinterlassen musste, das man auch spüren konnte, wenn man sich ein wenig umsah bei den Konzerten von Dieter Thomas Kuhn, der Anfang der Neunziger antrat, um zum bekanntesten Tübinger seit Hölderlins Ableben im Turm zu werden. Er machte es mit diesen peinlichen Kindheitsflecken: er machte es mit einer Schlagerrevue. Ein netter Studentenulk sollte das anfangs nur sein, aber bevor man noch recht über die Pointe lachen konnte, hatten die interessierten Lifestyle-Vertreter bereits dieses Recycling des gesammelten Schmalzes der Siebziger fest in die Arme geschlossen. Kuhns Erfolg war spektakulär, und irgendwann machte man sich auch nicht mehr die Mühe, das alles mit einer Systematik der Trash-Kultur oder den Camp-Theorien von Susan Sontag (die kurz vor ihrem Tod noch in Tübingen dozierte) zu erklären. Nur ein ironisches Augenzwinkern blieb, mit dem man sich den „wirklichen“ Schlager vom Leibe hielt, und Dieter Thomas Kuhn verdiente eine Menge Geld. Am Höhepunkt des Erfolgs aber legte er sein Brusttoupet ab, um es als Thomas Kuhn jenseits des Schlagerhypes mit deutschem Poprock zu versuchen. Was ganz unglamourös in die Hosen ging. So einen Kuhn wollte niemand haben.

Wahr aber ist auch: Kuhns Erfolge nützten den „wirklichen“ Schlagerfuzzies wenig.

Als „Revival des Jahres“ wird nun die Wiederauferstehung Kuhns mit seinen Vornamen Dieter Thomas beworben. Was genau genommen ja ein Revival des Revivals ist und damit eine philosophische Frage: Ob denn also überhaupt eine Wiederaufführung von Ironie mit Ironie möglich ist? In der Mathematik jedenfalls ergibt ein doppeltes Minus Plus. Und das Nachmachen eines nachgemachten Schlagers ergibt Schlager. Lupenreiner Seelenschmonzes. Irony is over. Der Schlager hat zu sich selbst gefunden.

Kuhn ist angekommen. Trostlose Heimat. THOMAS MAUCH