debatte: #journalistsforfuture
Die gegenwärtige Medienberichterstattung ist zu sehr auf Gewalt und Sensationen fixiert. Wir brauchen einen konstruktiveren Journalismus
UteScheub
feiert in diesem Jahr ihr 20-20-20-Jubiläum: Sie hat die taz mitbegründet und etwa 20 Jahre dort mitgearbeitet, seit 20 Jahren ist sie freie Autorin und hat nun ihr 20. Buch veröffentlicht.
Bis Ende 2018 war die Klimakrise das meistverdrängte Thema unserer Zeit. Nun plötzlich steht sie laut Meinungsumfragen auf Platz 1 der dringlichsten Themen, zumindest in Deutschland. Zu verdanken haben wir das, natürlich, Greta Thunberg. Sie war wie das Kind, das im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern als Einzige im ganzen Publikum ausrief: „Der Kaiser ist doch nackt!“ Der Kaiser, das sind Politik und Wirtschaft, die sich in nichts als Greenwashing kleiden.
Die jungen Klimastreikenden protestieren gegen das gigantische Politikversagen. Es wird jedoch begleitet und verstärkt von einem ähnlich gigantischen Medienversagen. Am 15. März waren 1,6 Millionen junge Menschen in 123 Ländern weltweit im Klimastreik. Ein historisches Ereignis! Das niemand realisierte: Der Anschlag eines Rechtsterroristen auf eine neuseeländische Moschee beherrschte die Titelseiten fast aller deutscher Tageszeitungen, auch die Nachrichten von ARD und ZDF. Weshalb wird ein einzelner Menschenfeind mit weit mehr Aufmerksamkeit belohnt als Millionen Jugendliche, die um ihre Zukunft bangen? Oder, um die Sache fortzusetzen: Wieso wird einen Tag später über die Randale von etwa 1.000 Gelbwesten in Paris mehr berichtet als über 40.000 friedlich für Klimaschutz Demonstrierende, die in einem anderen Teil der Stadt ihren „Marsch des Jahrhunderts“ hinlegten? Der Subtext der Medien lautete: Wir nehmen euch nicht ernst, solange ihr keine Steine und Bomben schmeißt.
Über Selbstmörder, die sich vor Züge werfen, wird hierzulande nach einem ungeschriebenen Gesetz nicht berichtet. Denn seit Goethes „Werther“ wissen wir, dass Suizide ansteckend wirken. Das gilt auch für monströse Taten wie in Christchurch oder Colombo. Je breiter darüber berichtet wird, desto höher die Nachahmungsgefahr. Medien fahren eine Werbestrategie für geltungssüchtige Terroristen, egal wie „abscheulich“ sie deren Taten finden. Bild-Chef Julian Reichelt, der das Tatvideo von Christchurch mitverbreitete, sollte hier den ersten Negativpreis bekommen, den „Terror-PR-Award“ in Form einer roten Keule.
„Only bad news are good news“ – dieser Mechanismus ist auflagensteigernd, weil vermeintliche oder tatsächliche Gefahren mehr Aufmerksamkeit erhalten als Hoffnung. Homo sapiens wurde in der menschlichen Evolution vor allem aufs Überleben gepolt. Der Trommler, der in der Steinzeit vor nahenden Säbelzahntigern warnte, erhielt deshalb mehr Beachtung als die Frau, die Blümlein von einer Frühlingswiese mitbrachte. Aber das ist jetzt Hunderttausende Jahre her. Könnte die Menschheit nicht mal langsam dazulernen?
Die neuseeländische Regierungschefin Jacinda Ardern hat vorgemacht, wie man selbst mit der schlimmsten Nachricht konstruktiv umgehen kann. In Empathie mit der trauernden muslimischen Gemeinde legte sie einen schwarzen Schleier um und rief: „We are one!“ Das durchkreuzte die „Wir gegen die“-Strategie der Rechtsradikalen und Islamisten. Der Rechtsterrorist von Christchurch wollte berühmt werden, also schwor sie, seinen Namen niemals zu nennen. Medien könnten die Namensnennung von Tätern verweigern und deren widerliche Videos und Pamphlete nicht veröffentlichen. Damit verlöre Terrorismus einen wesentlichen Resonanzraum.
Massenmedien sind unsere Augen und Ohren, mit denen wir eine zunehmend globalisierte Welt wahrnehmen. Doch wenn wir täglich vor allem mit Gewaltakten traktiert werden – verstärkt durch die sozialen Medien –, dann mündet das nur in zunehmenden Angststörungen, aber nicht in Lösungen.
Rechten Medien geht es um Angstbewirtschaftung, weil das Aufmerksamkeit und Auflage bringt. Linke Medien hingegen glauben, ihre Aufgabe bestünde in schonungsloser Aufklärung. Man müsse nur aufzeigen, wie schlimm alles sei, und schon werde sich Protest formieren. Umweltpsycholog:innen aber wissen, dass apokalyptische Szenarien genau gegenteilig wirken: Sie verstärken die Verdrängung, weil sie Ohnmachtsgefühle erzeugen. So war es auch bei der Klimakrise. Gutwillige Umweltjournalist:innen brachte das an den Rand der Verzweiflung, denn ihre ganzen Aufklärungsversuche schienen umsonst zu sein – bis Greta Thunberg klimastreikte. Ihre Aktion löste eine Massenbewegung aus und wird vielleicht irgendwann als so historisch gelten wie der Kniefall Willy Brandts in Warschau.
Es gibt bereits die #parentsforfuture, die #scientistsforfuture, die #entrepreneursforfuture. Es wird Zeit für die #journalistsforfuture. Nein, es geht hier nicht um die platte Solidarisierung mit den Klimastreikenden. Auch nicht um eine rein quantitative Ausweitung des Themas. Es geht um viel mehr: die Reflexion der medialen Prioritäten, weg von der Fixierung auf bad news und hin zum Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten. Nur das kann die Angststarre beseitigen und die Politik auf Trab bringen. Guter Journalismus ist zukunftsbezogen. Er berichtet nicht nur über Probleme, sondern präsentiert auch Lösungen und entwickelt somit einen gesellschaftlichen Möglichkeitssinn.
Wie wäre es, wenn statt der Minderheitenshow des Börsenberichts vor der „Tagesschau“ – nur etwa 5 Prozent aller Deutschen besitzen Aktien – jeden Tag um 19.50 eine ökosoziale Erfolgsgeschichte gesendet würde? Zum Beispiel über Praktiken der regenerativen Landwirtschaft, die gigantische Mengen Treibhausgase in den Boden bringt. Oder wiederergrünte Wüsten in China, Ägypten und Mali. #journalistsforfuture könnten die Kids natürlich auch begleiten in ihrem Ziel, dass diese Bundesregierung noch 2019 eine CO2-Steuer erlässt und ein wirkungsvolles Klimaschutzgesetz verabschiedet.
Wir brauchen einen kritisch-konstruktiven Journalismus, der seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht wird, auf Sensationen und Gewaltfixierung verzichtet und eine gute Zukunft für alle vorbereitet.
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