ZWISCHEN DEN RILLEN
: Unversöhnliche Filterlose

Gallon Drunk: „The road gets darker from here“ (Clouds Hill/Rough Trade)

Du bist total abgebrannt. Gerade wurdest du von deiner Liebe verlassen. Da läuft ein geprügelter Hund durch die Straßen. Das bist ja du! Und dann stolperst du in den überfüllten Bus, auf dem Weg zu deinem lächerlichen Job. Der Sitznachbar riecht unappetitlich. „Zurückbleiben, bitte.“

Du fährst bis zur Endstation am Stadtrand. Da streckst du den Daumen raus, trampst fort. Ein finster dreinblickender Typ nimmt dich mit – und dann fahrt ihr erst mal. Und fahrt und fahrt.

Der Kerl am Lenkrad mit den ergrauten Schläfen fragt: „Hast du was dagegen, wenn ich Musik anmache?“ Und du sagst: „Nee, nee.“ Mit den ersten Tönen wird klar: Es sind Gallon Drunk. Die unversöhnlichste aller unversöhnlichen Bands aus London. Jetzt steht dir die Pisse in den Augen, schon während der ersten drei Anschläge. Du hattest davon gelesen, dass sie neues Zeug herausbringen, aber dann kam die Sache mit der Freundin und jetzt war irgendwie alles Scheiße, vor allem so egal. „Ist gut, was da läuft“, sagst du nur zum Fahrer.

Verzinkter als die anderen

Es muss die Abiturfeier oder so gewesen sein, als du dich erst so betrunken und danach stundenlang Gallon Drunk gehört hattest. Wie lang war das her? 20 Jahre? Es war dieses geniale „From the heart of town“-Album. Ihre gewaltigen Orgeln, der leichte Rockabilly-Einschlag, der kaputte Blues, den die hatten! Und dann sahen die noch ein Stück verzinkter aus als die ganzen anderen. Der Sänger und Gitarrist James Johnston mit seiner Tolle, das war der fiesere Nick Cave. Später sollte Johnston mit Cave sogar in einer Band spielen. Seine eigene Band, Gallon Drunk, 1990 gegründet, hatte aber mehr Soul.

Und sie sind immer noch nicht weg vom Fenster. „Brandneuer Stoff“, sagt der Fahrer. „The road gets darker from here“, hieße das neue Album. Wie passend. Und dieses Stonerrockig-Kaputte im Auftaktsong „You made me“ passt perfekt. Spätestens mit dem zweiten Stück bist du schon Gallon Drunk bis obenhin, vollständig dem Hinterwäldler-Charme der Briten erlegen: Eine fiepsende Hammond-Orgel, ein Blues-Riff, ein Chor im Hintergrund, der zu retten versucht, was zu retten ist. Der Fahrer fragt: „Stört dich, wenn ich rauche?“ „Hast du auch eine für mich?“, fragst du zurück. Und das, wo du seit Jahren mit dem Rauchen aufgehört hattest. Gerade ein paar Züge genommen, verkneifst du dir das Husten. Hauen ganz gut rein, diese Filterlosen. „Killing Time“ läuft, und da ist tatsächlich ein Doors-Einschlag. Als hätte man Jim Morrisson noch ein paar Verzerrer in den Arsch gejagt. „Tell the world I’m fine.“ Werd ich machen. Spätestens jetzt ist eh nichts mehr zu retten. Und dann „The big breakdown“, jetzt musst du fast lachen. Wo ist der Gin? Die Blueseskapaden setzen ein. Auch du hast Lust auf Eskapaden. Las Vegas, Koks, Hurerei – oder so. Dann läuten eine Orgel, Saxofon und ein brummend-nöliger Johnston fast schon das Finale ein: „I just can’t help but stare.“ Nun hätte auch der am schlechtesten gelaunte Dylan seine Freude. Der Typ fährt weiter Richtung Norden. „Die haben auch einen Song mit dem Von Lowtzow gemacht“, sagt der Fahrer, „aber das ist nicht auf dem Album drauf.“ Der Fahrer weiß noch mehr: Mit dem Johann Scheerer aus Hamburg hätten die das Album aufgenommen, erzählt er beiläufig. Scheerer hätte auch schon Faust produziert, wo Johnston auch bisweilen mitspielt. „The perfect dancer“ beginnt derweil langsam, die Laune ist im Keller, mit wohldosierten Floortom- und Tomtom-Schlägen. Jeder in der Band weiß sein Spiel zu reduzieren. Der Schlagzeuger Ian White genauso wie Bassist und Saxofonist Terry Edwards. Und Gallon Drunk stecken die meisten Bluesbands und Art-Rocker doch in die Tasche.

Du hast Ort und Zeit vergessen. Zwei Stunden sind vergangen. „Lass mich an der nächsten Ausfahrt raus“, sagst du. Die See ist nicht weit. Ein „Küstennebel“ wär gut, denkst du. Und dann stehst du da, irgendwo im Nichts. Aber im Mittelohr hallt noch ein Verzerrer von Gallon Drunk nach. JENS UTHOFF

■ Gallon Drunk live, 17. September, München, „Ampere“; 18. September, Ulm, „Roxy“; 19. September, Stuttgart, „Schocken“; 20. September, Frankfurt, „Zoom“, wird fortgesetzt