piwik no script img

Evangelikale Strukturen in BremenFühre uns nicht in Versuchung

In Bremen will das karitative Werk einer evangelikalen Gemeinde aus Oldenburg ein Sozialzentrum mit eigener Kita errichten. Kann das gut gehen?

Freuen sich über Jesus: Evangelikale beim Christival in Bremen 2008 Foto: dpa

Bremen taz | An diesem Wochenende feiern Christ*innen in Deutschland und weltweit das Osterfest und gedenken der Passion, der Kreuzigung und der Wiederauferstehung ihres Messias. Wer hierzulande an Christ*innen denkt, hat meist ein binäres Bild der zwei Hauptkonfessionen Katholizismus und der evangelischen Gemeinden der EKD im Kopf. Tatsächlich ist die christliche Glaubenslandschaft weitaus diverser – und gerade in den evangelischen Strömungen tummelt sich eine Vielzahl freikirchlicher Gemeinden, die an Masse und Selbstbewusstsein gewinnen.

An ihrer Spitze stehen die hippen und medial sehr aktiven Evangelikalen, insbesondere die Pfingstkirche. Sie sind jung und dynamisch, aber sie vertreten reaktionäre bis radikale Positionen. In Deutschland werden rund zwei Prozent der Bevölkerung den Evangelikalen zugerechnet. Dennoch ist die Bewegung die am schnellsten wachsende Religion weltweit. In Nord- und Südamerika und in Teilen Afrikas sowie Asiens stellen Evangelikale bereits die christliche Bevölkerungsmehrheit. In Europa und den USA stagniert das Wachstum.

Rassistischen, sexistischen und queer-feindlichen Politikern wie dem US-Präsident Donald Trump oder dem neu gewählten brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro geben viele Evangelikale gern ihre Stimme. Doch die vornehmlich amerikanischen „Megachurches“ belassen es nicht beim Erfolg auf ihrem heimischen Terrain, sondern begreifen die Missionierung als göttlichen Auftrag.

In Deutschland ist diese christliche Strömung vor allem in Baden-Württemberg und im Ruhrgebiet verbreitet. Im Norden ist Bremen eine evangelikale Hochburg. Hier gibt es rund 34 Gemeinden, die man dem Evangelikalismus oder der Pfingstbewegung zurechnen kann. Nun versucht eine Pfingstgemeinde aus Oldenburg, in Bremen-Nord Fuß zu fassen.

Von den Freikirchlern in Versuchung geführt

Mit ihrem karitativen Arm, dem „Sozialwerk Oldenburg“, will die Freie Christengemeinde Oldenburg in Bremen-Blumenthal ein soziales Zentrum errichten, das nach eigenen Angaben in seiner Größe und seinen Dimensionen deutschlandweit einmalig sein wird. Darin soll es etwa eine Kindertagesstätte, einen Indoor-Spielplatz, eine Wohngruppe und einen psychosozialen Beratungsdienst geben.

Der Ortsbeirat Bremen-Blumenthal begrüßte den Vorschlag für ein solches Zen­trum mit einer einstimmigen Abstimmung zugunsten des Projekts. Nun müssen die zuständigen Senatorinnen entscheiden, ob das Projekt auch mit öffentlichen Geldern gefördert werden soll. Allerdings regt sich Widerstand in Teilen der bremischen Öffentlichkeit und in der politischen Landschaft. Es geht um die Frage, ob der Oldenburger Pfingstgemeinde zu trauen ist. Kann es karitative Arbeit geben, die von der konservativen, religiösen Ideologie der Gemeinde unabhängig ist?

Die Stadt Bremen und vor allem der mit vielen sozialen und infrastrukturellen Problemen kämpfende Stadtteil Bremen-Nord werden von der Lockung des ambitionierten Projekts der Freichrist*innen buchstäblich in Versuchung geführt, ihren eigenen staatlichen Bildungsauftrag zu vernachlässigen. Denn manche verzweifelten Lokalpolitiker*innen, die in Ortsbeiräten wie in Blumenthal sitzen, sind dankbar über jedes Projekt, das die sehr realen Probleme an der Unterweser angehen will.

Trotzdem sollte Bremen genauer hinsehen, wenn sich religiöse Fundamentalisten im alltäglichen Geschäft der Sozialversorgung einklinken. Zu anti-emanzipatorisch und minderheitenfeindlich ist ihre Lehre, zu theokratisch das Selbstverständnis und zu abschreckend die Beispiele aus Teilen der Welt, in denen Evangelikale bereits Teil der Mehrheitsgesellschaft sind, als dass man ein solches Projekt ohne Hinterfragen durchwinken könnte.

Mehr über Evangelikale lesen Sie im aktuellen Wochenendschwerpunkt der taz nord oder am E-Kiosk.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare