Sichtbar machen

Foto: Jacquie Boyd/getty images

Wozu noch dieser Feminismus?

Ein fiktives Gespräch zwischen Femme und Thomael (2017 gab es mehr Thomase und Michaels als Frauen in Führungspositionen).

Thomael: Musst du unbedingt „Feminist“ auf deinen Klamotten stehen haben? Gibt es nichts Wichtigeres, ob man jetzt „Studenten“ oder „Studierende“ sagt?

Femme: Auch die „großen Probleme“ profitieren von Gleichberechtigung.

Thomael: Klar, die Lage in Syrien würde sich sicher entspannen, wenn man Frauen nicht mehr unterbrechen würde …

Femme: Richtig. Nein, natürlich nicht, aber gerade in „Entwicklungsländern“, wo Sexismus besonders verinnerlicht ist, kann eine Gesellschaft an ihren Nicht-Männern erstarken, die nicht ihre Bildung abbrechen, wenn sie menstruieren.

Thomael: Genau, bloß weil man Tampons in Care-Pakete steckt …

Femme: Am besten gibt man Menschen vor Ort die Möglichkeiten, selbst Entsprechendes nachhaltig herzustellen.

Thomael: Ih. Und grün bist du auch noch, sonst noch was?

Femme: Ja – der beste Feminismus ist intersektional! Für Gleichberechtigung nicht nur zwischen XX und XY, sondern auch zwischen Ethnizitäten; für soziale Mobilität, und späteren Generationen den Planeten zu ruinieren, ist auch unfair.

Thomael: Rassismus ist in den USA schlimmer.

Femme: Es gibt Abstufungen in den Extremen, aber Rassismus, Sexismus und Homophobie bilden das Dreigestirn der Idiotie. Alltägliche Diskriminierungen von Schwulen basieren darauf, dass sie angeblich feminin seien, was als etwas Negatives gilt; Women of Color werden als aggressiv wahrgenommen und als Affen beschimpft; Männer nehmen sich öfter das Leben, weil „darüber reden“ mädchenhaft wäre; Transphobie, Ableismus, Ageism, Fatshaming haben gemein, dass sie nicht in patriarchale Schubladen passen.

Thomael: Fatshaming? Gesundheit!

Femme: Bullshit. Diese „Sorge“ ist nur ein Alibi, um Leute nach ihrem Äußeren zu beurteilen. Du kannst jemandem seine Gesundheit selten ansehen.

Thomael: Und jetzt die Repräsentation …

Femme: Wenn Mädchen nie hören, dass sie Anwalt oder Arzt, und Jungs nicht, dass sie Tänzerin oder Kosmetikerin sein dürfen, kommen sie nicht auf die Idee. Wenn Frauen zu Müttern erzogen werden und Männer zu Chefs, kriegt man eine starre Gesellschaft mit wenig erfüllten Chefinnen und Vätern. Sola Steinke

Weiblich und Schwarz

Als Schülerin eines ostdeutschen Gymnasiums bin ich eine von zwei Schwarzen Schülerinnen an der gesamten Schule. Immer wieder mache ich die Erfahrung, dass Lehrer vor allem mir gegenüber immer wieder anzüglich werden. Vermeintlich positive Blicke, Kommentare und Berührungen gehören quasi zum Alltag. Oft werde ich sexualisiert und exotisiert.

Auch außerhalb der Institution Schule setzen mich Menschen häufig herab. Mit Kommentaren wie „Wie kannst du nur widersprechen?! Der Mann ist mindestens doppelt so alt wie du, dass ist unglaublich anmaßend!“ versuchen Menschen mir gern den Mund zu verbieten. Aber warum verhalten sich andere Menschen mir gegenüber gehäuft auf diese Art und Weise? Ist es Sexismus? Rassismus? Oder Jugenddiskriminierung? Es handelt sich um ein vielen unbekanntes Phänomen: Intersektionalität.

Der Begriff wurde 1989 von Kimberlé Crenshaw geprägt und beschreibt die Überlappung verschiedener Diskriminierungsformen in einer Person. Obwohl viele Menschen von Intersektionalität betroffen sind, ist die Problematik den meisten unbekannt. Schwarze Frauen waren diejenigen, die als Erste auf die Problematik aufmerksam gemacht haben.

Natürlich sind aber nicht nur Schwarze Frauen betroffen. Intersektionalität erleben etwa auch Menschen mit Behinderung, die auch obdachlos sind und erschwerten Zugang zu Notunterkünften haben, weil diese oft nicht barrierefrei sind. Oder Homosexuelle, die gleichzeitig PoC sind, die in der mehrheitlich weißen deutschen LGBTIQ+ Community eine Minderheit darstellen und innerhalb dieser Gemeinschaft keinen sicheren Raum für sich finden.

Wie dieses Problem gelöst werden kann, ist nur im Kontext der jeweiligen Situationen zu entscheiden. Und Intersektionalität kann nur gesehen werden, wenn grundsätzlich anerkannt wird, dass es zu Diskriminierung und dadurch zu Verletzungen kommt. Das bedeutet auch, selbstkritisch das eigene Handeln und Denken zu hinterfragen, was in Mehrheitsgesellschaften jedoch oft zu einer starren Abwehrhaltung führt. Sich die eigenen Privilegien bewusst zu machen, ist im Kampf gegen diskriminierende Strukturen aber unabdingbar. ­Darüber hinaus ist es wichtig, sich selbst zurücknehmen zu können und marginalisierten Gruppen den Raum zuzugestehen, für den sie immer wieder kämpfen müssen.

Chaltu Beyene

Der Hass kommt auch von innen

Gesellschaftliche Bilder bestimmter Gruppen werden auch von Mitgliedern dieser Gruppen verinnerlicht. In der heutigen Gesellschaft ist eine solche verinnerlichte Unterdrückung (engl. „internalized oppression“) besonders stark unter jungen Schwulen ausgeprägt (verinnerlichte Homophobie, engl. „internalized homophobia“).

Denn die meisten Jungen werden zu einem Männlichkeitsideal erzogen, das mit gleichgeschlechtlichen Gefühlen unvereinbar ist, und weil Sexualität nicht von außen sichtbar ist, werden homophobe Kommentare oft auch in Gegenwart von jungen Schwulen gemacht, die sich noch nicht geoutet haben. Verinnerlichte Homophobie führt zu Depressionen und wird von Psychologen mit einer unter jungen Schwulen erhöhten Suizidrate in Zusammenhang gebracht.

Auch prägt verinnerlichte Homophobie das Miteinander in der Schwulen-Community, indem einerseits willkürlich verinnerlichte Vorurteile in Form von Stereotypen gelebt werden und andererseits Schwule, die zu weiblich wirkend auftreten, von anderen Schwulen verachtet werden. Es überrascht nicht, dass Studien auch Transphobie unter Schwulen belegen. Von einigen Schwulen wird auch Bisexualität abgelehnt.

Eine mögliche Erklärung dafür liefert das homophobe Selbstbild Schwuler als unvollständige Männer, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung aus der „ersehnten“ Heteronormativität ausgeschlossen sind und nun versuchen, das Beste aus ihrer „miserablen Situation“ zu machen. In einem solchen Weltbild sind ­bisexuelle Männer also Männer, die sich bewusst dafür entschieden haben, „temporär“ schwul zu sein. Dass Bisexuelle dieselbe ­Achtung und Unterstützung möchten, wie sie die Community prinzipiell Schwulen entgegenbringt, empfinden manche als Zumutung.

Außerdem beruht die öffentliche Akzeptanz der Emanzipation Homosexueller natürlich auf der fundamentalen Annahme, Sexualität sei keine Entscheidung. Diese Akzeptanz sehen einige durch die Wahl, die Bisexuelle bezüglich ihrer Orientierung zu haben scheinen, bedroht. Wie belastend die eigene Sexualität jedoch sein kann, lässt sich weder objektiv begründen noch für andere zugänglich machen. Derartiges Empfinden ist schwer vergleichbar zu machen.

Was hilft: Einander unabhängig von der Sexualität zu unterstützen, miteinander in Dialog zu treten. Blind für Vorurteile und anerzogenes Verhalten, dafür aber auf Augenhöhe. Kenan Hanke

Einfach mal zuhören

Es ist ein Junge!“ – und hier beginnt jene Erzählung der Männlichkeit, in der Männer noch immer als die einzigen Protagonisten unserer Welt figurieren. Ein Männlichkeitsmythos, dessen Versatzstücke schon von Geburt in den Menschen hineingeschrieben werden. Männlichkeit kann in einem Patriarchat nur toxisch sein. Hierbei geht es um eine politische Realität, die sich aus der strukturellen Diskriminierung anderer sozialer Gruppen und einer dem Mann zugewiesenen Machtposition zusammensetzt.

Nicht jeder Mann ist toxisch. Doch jeder Mann besteht zumindest teilweise aus den toxischen Versatzstücken, die das strukturelle Patriarchat uns seit Jahrhunderten serviert. Cishet Männer deuten nicht nur persönlich erlebte Misogynie in überhöhte Empfindsamkeit um, sie erklären im Gleichschritt auch, was genau erst als misogyn eingestuft werden darf und was nicht. Dieses Mansplaining hält uns die Internalisierung der Machtstrukturen als versprachlichtes Faktum vor Augen und das macht Angst.

Wenn Erfahrungsberichte keine empathische Empörung, sondern ein abwertendes „vielleicht hast du es einfach nur falsch verstanden“ als Antwortet findet, dann läuft etwas gewaltig schief. Wenn eine feministische Grundhaltung von Männern per se als Angriff gewertet wird und die Care-Arbeit von Männern nur so weit reicht, wie sie selbst von Misogynievorwürfen verschont bleiben, dann ist auch diese Männlichkeit eine toxische und folglich sozial destruktiv.

Wenn marginalisierte Gruppen darauf hinweisen, dass sie sich im generischen Maskulinum nicht verortet sehen, dann reicht das „Mitdenken“ anderer Formen nicht aus, wenn diese sich nicht angesprochen fühlen. Sprache konstituiert Wirklichkeit – und was nicht ausgesprochen wird, wird nicht gehört.

Die Devise: Zuhören! Wenn Transfrauen und -männer darum bitten, deadnaming (Markierung des alten Vornamens) zu unterlassen: zuhören! Wenn BPoCs fordern, das N-Wort aus Kinderbüchern zu entfernen: zuhören und nicht Johannes aus der Gated Community in Südafrika fragen.

Und wenn menstruierende Menschen den Bedarf einer Normalisierung hinsichtlich der Auseinandersetzung mit der einmal im ­Monat geballt auftretenden Hormonschelle verspüren, dann weniger das Gesicht ­verziehen und mehr zuhören! Stoppen wir die Massenproduktion destruktiver Konstrukte, denn: If ­someone tells you you hurt them, you don’t get to decide that you didn’t. Hazar Oghan