Lisa Rubin
Bunte Welt in Schwarz
: Ich sehe auch,
was du nicht siehst

Foto: taz

Ich bin eine von 155.000 Menschen in Deutschland, die selbst in absoluter Dunkelheit lesen können. Mit unseren Fingern ertasten wir die aus sechs Punkten be­stehenden Lettern der Brailleschrift. Um selbst etwas zu Papier zu bringen, nutzen wir eine Schreibmaschine. Mit einem kleinen Unterschied: Sie druckt keine Buchstaben, sie prägt verschiedene Punkt-Kombinationen auf das Blatt.

Doch nicht nur die analoge, auch die digitale Technik spielt eine wichtige Rolle: Eine Sprachausgabe liest uns vor, was auf dem Bildschirm steht. Meist verwendet man zusätzlich eine sogenannte Braillezeile, die den Text auf Punktschrift abbildet und uns so das selbstständige Lesen und Schrei­ben ermöglicht.

Mittlerweile gibt es auch Smartphone-Apps, die etwa Farben benennen oder Bilder beschreiben. Das Internet ist für uns also gut zugänglich – und trotzdem gibt es noch viel zu tun, um das Netz barrierefrei zu gestalten. Jede/r kann dazu seinen Beitrag leisten. Zum Beispiel, indem man Fotos im Internet ein paar erklärende Worte beifügt. In meinem Freundeskreis macht das mittlerweile jede/r und ich bin sehr dankbar dafür: Auf diese Weise haben alle etwas von einem gelungenen Schnappschuss.

Aber Barrierefreiheit lässt sich noch weiter fassen: Auf alltäglichen Wegen muss ich viele Hürden überwinden, wenn ich mit meinem weißen Langstock den Weg ertaste. Wir blinden Menschen lernen unsere täglichen Wege auswendig. Wir kennen jeden Schritt und jede Drehung, brauchen also eine feste Struktur, um ans Ziel zu kommen. Ein plötzlicher Umbau kann so schnell zu einer großen Herausforderung werden.

Aber auch andere Dinge können uns behindern: Das klackernde Geräusch der Ampeln und Markierungen auf dem Boden helfen uns bei der Orientierung. Nur fehlt ein einheitliches System. Jede Blindenampel sendet unterschiedliche Signale, jedes Leitliniensystem ist wieder anders aufgebaut. Es gibt keine allgemeingültigen Vorgaben, um einen Ort barrierefrei zu gestalten. Genau das wird aber häufig zum Problem.

So sind Stadterkundungen mit Audioguides zwar gut zu begreifen. Ich stoße aber häufig auf unvorhergesehene Hindernisse. Mir rutscht dann häufig etwas raus wie: „Oh, das habe ich nicht rechtzeitig gesehen.“ „Wie auch? Sie sind blind“, meinen andere. Es dienen aber nicht nur die Augen zum Sehen. Ich sehe halt ein wenig anders als viele meiner Mitmenschen.

Fragt mich, ob ich einen neuen Film im Kino schon gesehen habe. Das ist nicht unpassend. Eher im Gegenteil: Ich schaue gerne Filme, auch wenn ich nur hören kann, was passiert. Akzeptanz ist für mich die eine Sache. Normal behandelt zu werden die andere. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen macht es vor: ARD und ZDF statten vieles mit einer Audiodeskription aus. Auf dieser zweiten Tonspur höre ich, was zu sehen ist, und kann so auch die Bilder sehen.

Man sieht also: Barrierefreiheit funktioniert, wenn der Rahmen dafür geschaffen wird. Wir sind auf dem richtigen Weg.