: Von der Wiege an nachhaltig
Der Berliner Verein Cradle to Cradle wirbt für eine gesunde und umweltfreundliche Wirtschaftsweise
Von Jan Christoph Freybott
Wie die Architektur von Morgen wirkt es nicht gerade, was sich in diesem Plattenbau im Berliner Osten offenbart. Doch während Tim Janßen durch das kahle Erdgeschoss führt, behauptet er genau das: „Dieses Projekt soll die Grenzen des Machbaren ausloten und beweisen, dass wir auch im Bestand besser und umweltfreundlicher leben können“, sagt er. „Das wird die nachhaltigste Bestandssanierung, die es je in einer Ostberliner Platte gab“.
Tim Janßen ist Mitbegründer und geschäftsführender Vorstand des Vereins Cradle to Cradle, der Bildungsprogramme zum Thema Nachhaltigkeit organisiert. Cradle to Cradle bedeutet so viel wie „von Wiege zu Wiege“ und ist angelehnt an eine gleichnamige Denkschule, die sich für eine nachhaltigere Wirtschaftsweise einsetzt. In Anlehnung an das Konzept der Kreislaufwirtschaft will das Cradle-to-Cradle-Prinzip lineare Wertschöpfungsketten vermeiden; nicht verbrauchen, sondern gebrauchen, lautet die Devise. Gedacht wird das Konzept in zwei Kreisläufen: ein biologischer, in dem alles nach Gebrauch der Natur zugeführt werden kann, sowie ein technologischer, in dem alles recycelt und wiederverwertet werden soll. In Workshops, Podiumsdiskussionen und Vorträgen möchten Janßen und sein Team diesen Idealen nun zu größerer Popularität verhelfen – in diesem Fall am Beispiel der Bestandssanierung.
Das Projekt wird den 15 Beschäftigten des Vereins als neue Geschäftsstelle, als Bildungszentrum, Veranstaltungsort und Reallabor fungieren. „Wir wollen über alle verbauten Materialien Bescheid wissen, egal ob im Bodenbelag, der Wandfarbe, der Elektronik oder den Sanitäranlagen“, sagt Janßen während der Begehung. „Im Gegensatz zu klassisch-ökologischen Ansätzen erschöpft sich unser Engagement nicht im Verzicht. Stattdessen überlegen wir, wie wir einen positiven Fußabdruck hinterlassen können“. Nicht „weniger schlecht“, sondern „gut“ sollte er sein. Technische Lösungen gebe es dafür genug.
Der Verein Cradle to Cradle kooperiert dazu mit den PionierInnen der Branche. Ob Wandfarbe und Polster ohne giftiges Ausgasen; Fenster, die ausgebaut und wiederverwendet werden können oder Drucker, die keinen Feinstaub emittieren – für all das gibt es bereits GeschäftspartnerInnen, die das neue Bildungszentrum ausstatten. Genau wie die C2C-spezialisierten PlanerInnen und ArchitektInnen verlangen die HerstellerInnen dafür keine Bezahlung. Auch für sie sei dieses „Leuchtturmprojekt“ eine Chance, die Idee von C2C bekannt zu machen, erklärt Janßen.
So arbeitet der Verein etwa mit dem niederländischen Unternehmen Desso zusammen, das seine Teppichfliesen zur Verfügung stellt. Desso verkauft keine Teppiche, sondern vermietet sie; nach fünf Jahren nimmt das Unternehmen sie zurück, bereitet sie auf und liefert bei Bedarf neu. Sämtliche Bodenbeläge sind nicht verklebt, Materialpässe verraten zukünftigen BewohnerInnen genau, was wo verbaut ist. Herstellung, Nutzung und Entsorgung werden so zusammen gedacht.
Ob sich die Denkschule durchsetzt, ist noch nicht abzusehen. „Derlei Projekte, die Recycling und Wiederverwertung thematisieren, sind oft noch auf Fördergelder angewiesen, um die Mehrkosten aufzufangen“, sagt Christoph Deimel, Vorsitzender des Arbeitskreises Nachhaltiges Planen und Bauen der Berliner Architektenkammer. „Abriss- und Deponiekosten bleiben in den meisten Kostenbetrachtungen noch ausgeklammert“, weshalb C2C-Lösungen derzeit noch nicht wettbewerbsfähig seien. „Trotzdem braucht es diese Leuchtturmprojekte.“
Für VerbraucherInnen soll ein Siegel aufklären, welche Produkte dem Cradle-to-Cradle-Prinzip entsprechen. Ein Forschungsinstitut in San Francisco zertifiziert die Waren bisher in Basic, Bronze, Silber, Gold und Platin.
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