Fair vor der eigenen Tür

VOR ORT Frischmilch gehört zu den wenigen hiesigen Produkten, die explizit mit dem Terminus „fair“ gehandelt werden

Die Zahl der Milchproduzenten sank rapide: seit 2003 von 122.000 auf 70.000 Erzeuger

VON DIERK JENSEN

Dass faire Preise oder Fairer Handel bei Weitem nicht nur eine Beziehung zwischen Partnern aus Entwicklungs- und reichen Ländern darstellt, zeigt die Fair-Milchpreis-Kampagne von Alnatura. Wer vor den Kühlregalen des kräftig wachsenden Bio-Vollsortimenters steht, der sieht unweigerlich den roten Querstrich auf den Milchpackungen: „Faire Preise für unsere Bauern“ steht drauf. Was heißt das nun? „Wir wollen mit dieser Aktion den Kunden deutlich machen, dass es den hiesigen Milchbauern nicht wirklich gut geht. Insbesondere kleinere Betriebe wirtschaften unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen“, erklärt Manon Haccius, Leiterin der Abteilung Qualität, Recht und Nachhaltigkeit bei der Bio-Supermarktkette Alnatura, die inzwischen über 70 Filialen in der Bundesrepublik betreibt. „Wir denken, dass es wichtig ist, den Verbrauchern die Akteure auf der Produktionsseite näherzubringen, um die wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe auf den Höfen transparenter zu machen.“ Wenngleich Haccius keine genauen Zahlen verrät, liege der Absatz der Bio-Frischmilch in Litern ausgedrückt im niedrigen zweistelligen Millionenbereich. Tendenz steigend.

Alnatura arbeitet bei der Faire-Preise-Aktion mit zwei Molkereien zusammen. Zum einen der hessischen Upländer Bauernmolkerei und zum anderen mit den bayerischen Milchwerken Berchtesgadener Land. Insgesamt profitieren rund 550 Biobauern von dem besseren Preis, der durch das fair gelabelte Milchprodukt erzielt wird. Die Marketing-Leiterin der genossenschaftlich organisierten Molkerei, Barbara Steiner-Hainz, bringt es auf den Punkt: „Bio heißt aber nicht immer gleich sozial.“ So kann es durchaus sein, dass nach strengen ökologischen Gesichtspunkten gearbeitet wird, aber die Existenz vieler Betriebe besonders an naturräumlich schwierigen Standorten trotzdem bedroht ist. Deshalb hat sich die Berchtesgadener Molkerei schon weit vor dem medienwirksamen Milchstreik im Jahr 2008, als Bauern ihre Milch land auf und land ab in den Abfluss kippten, mit dem ökologischen Anbauverband Naturland auf eine faire Partnerschaft eingelassen. Und seit Ende 2009 sind die Milchprodukte von Naturland „fair“ zertifiziert. Darüber hinaus haben sich die Milchlieferanten der Milchwerke Berchtesgaden, neben 450 Biobauern gibt es noch rund 1.350 konventionelle Milcherzeuger, 2009 unisono gegen den Einsatz von gentechnisch veränderten Futtermitteln geeinigt. Diese Einheit zwischen Biobauern und konventionellen Bauern innerhalb einer Molkerei ist bundesweit bisher einmalig.

Verbandsübergreifend agiert auch der Bund deutscher Milchviehhalter (BDM). Er wirbt im Namen aller Milcherzeuger für faire Milchpreise, um die Öffentlichkeit auf die gefährdete Existenz vieler Bauernfamilien hinzuweisen. Allerdings halten viele Marktbeobachter die generelle Forderung für faire Preise – ohne das Bekenntnis für Bio und Gentechnikfreiheit – für inkonsequent.

Anders verhält sich das bei den Fair-Akteuren um Alnatura, Upländer und Berchtesgadener Molkerei herum, deren Aktivitäten immer größere Kreise zieht. „Sehr spannend ist für mich auch die Kooperation mit der Gepa“, sagt Steiner-Hainz zum seit 2011 bestehenden Engagement im Schokoladen-Segment. „Zucker und Kakao liefern Fair-Trade-Partner aus Übersee, wir steuern faires Milchpulver bei“, erläutert Steiner-Hainz ein Produkt, das Produzenten aus dem Norden und dem Süden fair vereint. Sie freut sich über neue, inspirierende Partnerschaften zwischen Kakao-Bauern aus Peru, Zuckerherstellern aus den Philippinen und bayerischen Milchviehhaltern. Zudem erreiche die Molkerei mit ihrer Fair-Produkt-Philosophie neue Verbrauchersegmente, wie etwa die Weltläden, die ihren Kaffee inzwischen mit fairer Milch anbieten.

Derweil durchschreitet der gesamte deutsche Milchmarkt mal wieder eine Phase sehr niedriger Milchpreise. Es wird einfach zu viel Milch produziert, obwohl der Energiepflanzenanbau den Milchbauern in vielen Regionen große Konkurrenz macht. Im August bezahlten viele Molkereien pro Liter konventionell erzeugte Milch nur noch einen Preis, der weit unter 30 Cent lag. Das ist ein Niveau, bei dem viele, nicht nur kleine Betriebe langfristig nicht mehr existieren können. Tatsächlich nimmt seit vielen Jahren die Zahl der Milchproduzenten rapide ab. Waren es noch 2003 rund 122.000, so sind es heute nur noch 70.000 Erzeuger. Dagegen steigt der Kuhbestand pro Betrieb unaufhörlich an. Im Zuge dessen verschwinden die Kühe aus der Landschaft, die Weidehaltung wird nur noch wenig praktiziert. „Gesunde Milch von saftigen Wiesen“ war wohl einmal. Ob diese Entwicklung durch Fair-Preis-Konzepte im Frischmilch-Bereich umgekehrt werden kann, bleibt fraglich. Denn obgleich faire Preise auch den gesellschaftlichen Nutzen eines lebendigen ländlichen Raumes mit bäuerlicher Vielfalt und vielfältiger Landschaft abbilden, wie auch Manon Haccius von Alnatura unterstreicht, braucht es seitens der Agrarpolitik aus Brüssel und Berlin ganz andere Signale, um eine wahrhaftige Umkehr einzuläuten.