„Ich betrachte es als kleinen Beitrag, Mauern zu überwinden“

Nard Reijnders, der Begründer der niederländischen Konzertreihe „Klassiek op locatie“, über Konzerterlebnisse im Knast und über Pläne, das Konzept auch in NRW zu etablieren

taz: Herr Reijnders, Klassik für ein Publikum, das in Ferienstimmung ist und auch sonst Konzertsäle eher meidet – und dann noch im Knast. Welches Konzept steckt hinter Ihrer Konzertreihe?

Nard Reijnders: Der Grundgedanke hinter „Klassiek op locatie“ ist Integration. Klassische Musik an ungewöhnlichen Orten heißt für uns nicht nur Klassik auf hohem Niveau in der romantischen Atmosphäre eines Schlossgartens. Ein Teil der Konzertveranstaltungen sollte auf jeden Fall einen sozialen Aspekt haben. International renommierte Musiker spielen an Orten, die Menschen beherbergen, die nicht am „normalen“ gesellschaftlichen Leben partizipieren. Das können Gefängnisinsassen sein, aber auch Asylbewerber oder polnische Saisonarbeiter. Und zwar nicht exklusiv für diese Gruppe, sondern einschließlich einiger hundert Besucher aus dem Umland.

Was wollen Sie denn damit erreichen?

Die Leute sollen im Knast das Gefühl bekommen, dass sich die Außenwelt für sie öffnet. Und Konzertbesucher die Gelegenheit erhalten, anlässlich dieser Begegnung zu reflektieren, dass es in unserer einen, gemeinsamen Gesellschaft diese Ausgegrenzten auch noch gibt. Ziel des Vereins und der Anstaltsleitungen ist, dass Insassen und Publikum miteinander ins Gespräch kommen.

Klingt paternalistisch.

Seh‘ ich nicht so! Wir wollen ausdrücklich ein Stück Verantwortung für Gestrauchelte unserer Gesellschaft übernehmen und die Leute in einem schönen Rahmen miteinander in Kontakt bringen. Die Gelegenheit dazu haben wir – Besucher und Insassen sitzen direkt nebeneinander. Und das ist ein wichtiger Schritt, schließlich handelt es sich zum Beispiel in „De Rooyse Wissel“ in Oostrum um schwer resozialisierbare Typen. Manche bleiben dort ihr Leben lang. Ich betrachte es als kleinen Beitrag dazu, Mauern zu überwinden, die die Gesellschaft mit aufgebaut hat.

Wie hat die Anstaltsleitung von „De Rooyse Wissel“ auf Ihre Anfrage reagiert?

Zunächst war die Ablehnung groß. Als wir ihnen klar machten, dass wir kein exklusives Konzert für sie veranstalten, sondern unser Publikum mitbringen wollten, gab es Bedenken – nicht etwa wegen der möglichen Gefahr für die Besucher, sondern weil Handys, Kassiber oder Drogen eingeschmuggelt werden könnten. Und wegen einer möglichen Verletzung der Privatsphäre der Bewohner. Nach vielen Gesprächen haben wir sie dann von unserem integrativen Ansatz überzeugt.

Und die Reaktionen?

Solche Erfahrungen haben etwas Entwaffnendes, für alle Beteiligten. Der Pianist Yingdi Sun etwa meinte nur lapidar, eine Einladung dieser Art hätte er in seiner Karriere noch nicht bekommen – aber warum nicht... Er war sofort einverstanden. Auch für die Besucher ist es gewöhnungsbedürftig. Aber die meisten verbuchen diese zwei Stunden als persönlichen Gewinn.

Ihre Broschüre liegt inzwischen auch auf Deutsch vor. Wollen Sie mit „Klassiek op locatie“ über die Grenze oder streben Sie Kooperationen mit deutschen Veranstaltern an?

Wir haben bei den bisher neun Konzerten dieser Saison einige deutsche Besucher aus Nordrhein-Westfalen gehabt. Für die Reihe 2006 stehen wir in Verhandlungen mit dem Klavierfestival Ruhr in Essen. Die Verantwortlichen dort schätzen unseren Einfallsreichtum und unsere Locations. Sie haben zugesagt, im nächsten Sommer mindestens eine ihrer Veranstaltungen bei uns unterzubringen. Womöglich können wir ein Konzert auf unsere Art bei ihnen veranstalten. INTERVIEW: HENK RAIJER