Festival Foto Wien 2019: Das Leben im Hinterland
Alltag zwischen Hof und Wirtshaus, Nutztier und Natur: Das Festival Foto Wien hat eine Fülle sehenswerter Ausstellungen zu bieten
Eine schönere Zentrale als Otto Wagners ikonische Postsparkasse kann sich ein Festival wie die Foto Wien gar nicht wünschen. Eine passendere auch nicht. Denn Wagners Jugendstilikone – Anfang des 20. Jahrhunderts in moderner Stahlbetonbauweise als Sparkasse für den „kleinen Mann“ errichtet und trotzdem irgendwie die Grandezza des bürgerlichen 19. Jahrhunderts ausstrahlend – ist nicht nur architektonisch ein Schwellenbau, ein Haus auf halbem Weg zwischen Historismus und Moderne.
Seit der bisherige Eigentümer – die BAWAG P.S.K., die das Haus 2013 an die Signa Holding verkauft hat – nun endgültig ausgezogen ist, steckt das momentan leergeräumte Gebäude ebenso nutzungstechnisch im Dazwischen. Und auch die Foto Wien, die dieses Gebäude nun in bester Zwischennutzungsmanier für gerade einmal 18 Tage als Festivalzentrale bespielt, befindet sich gerade im Transitorischen, im Neuanfang.
Denn es gibt das Festival schon seit 15 Jahren, nur hieß es bis zur letzten Auflage anders, „Eyes On“. Gegründet 2004 als Wiener Variante des auf eine französische Initiative zurückgehenden Europäischen Monats der Fotografie, der auch in Paris, Athen, Berlin, Ljubljana oder Budapest abgehalten wird, wurde das Festival im Zuge einer Umstrukturierung im vergangenen Jahr aus der Kulturabteilung der Stadt Wien, die es bislang direkt ausgerichtet hat, ausgelagert.
Die Postsparkasse als räumlicher Anker des Festivals
Die Foto Wien 2019 läuft noch bis 20. April. Infos: www.fotowien.at
Nun wird es vom Kunst Haus Wien veranstaltet, dessen Direktorin Bettina Leidl sich ohnehin konsequent auf Fotografie spezialisiert hat. Neben dem sehr viel prosaischeren Namen ist die wohl größte Neuerung eben die Einrichtung einer Festivalzentrale, die es so bislang nicht gab. Leidl möchte dem neuen, alten Festival damit einen räumlichen Anker geben – und die Foto Wien entsprechend auch inhaltlich stärker verzurren und deutlicher kuratieren.
Das ist unbedingt zu begrüßen. Denn angesichts eines Programms mit mehr als 130 Kooperationspartnern – von den großen Institutionen der Stadt über Privatsammlungen und Galerien bis hin zu Off-Spaces und kleinen Showrooms – hat ein in der Tendenz dezentrales und eher als Dachmarke funktionierendes Festival wie dieses in der Umsetzung naturgemäß einen Hang zur Unübersichtlichkeit.
Ein wenig schade ist aber schon, dass dann auch die doch eigens zum Zwecke der Bündelung und Fokussierung eingerichtete Festivalzentrale den strukturell wirkenden Fliehkräften einer solchen Veranstaltung nicht so richtig etwas entgegenzusetzen vermag. Denn statt dort eine durchgehend kuratierte Schau zu installieren, werden mehr als ein Dutzend separate Ausstellungen präsentiert – von der sorgfältig zusammengestellten Mini-Intervention des Kurators Walter Seidl zum Thema „Urbanität“ über Einzelpositionen bis hin zur Studentenschau und einer Bürgerbeteiligungsausstellung zum Wiener Gemeindebau.
Sehenswerte Ausstellungen und Arbeiten
Trotzdem: Sowohl in der Festivalzentrale als auch bei den Kooperationspartnern finden sich tolle und wirklich sehenswerte Ausstellungen und Arbeiten. Beispielsweise „Der illegale Film“ von Martin Baer und Claus Wischmann, eine äußert kurzweilige und größtenteils aus Found-Footage bestehende 80-minütige filmische Annäherung ans komplexe Thema Bildrecht unter den Vorzeichen des Digitalen; oder die kleine, aber feine Ausstellung, die Fiona Liewehr in der Galerie rauminhalt zusammengestellt hat und in der Arbeiten der holländischen Fotografenlegende Ed van der Elsken auf 80er-Jahre-Berlin-Bilder von Esther Friedman und aktuelle Aufnahmen des österreichischen Fotografen Markus Mittringer treffen.
Ins Auge sticht in der Festivalzentrale aber vor allem Mathieu Asselins beeindruckende Arbeit zum Agrarchemie- und Saatgutriesen Monsanto. Asselins hier in Form einer multimedialen Gesamtinstallation mit Fotos, Filmen, Aktienkursen, Akten und sogar einer eigenen Zeitung präsentierte Recherche breitet minutiös die verschiedenen Aspekte der räuberischen Politik des inzwischen vom Bayer-Konzern übernommenen Unternehmens aus.
Von den Schadenersatzprozessen wegen krebserregenden Mitteln wie Glyphosat angefangen bis hin zu den Knebelverträgen, die Bauern abschließen müssen, wenn sie genetisch verändertes Saatgut kaufen. Dass Asselins Projekt nicht neu ist und bereits mehrfach gezeigt wurde, tut seiner Aktualität keinerlei Abbruch.
Landwirtschaft als großes Thema
Überhaupt: Landwirtschaft. Wenn auf der Foto Wien ein Thema wiederholt aufgegriffen wird, dann die fotografische Auseinandersetzung mit dem „Land“ als Gegenpol zur „Stadt“ als klassischem Sujet der Fotografie. Zum Beispiel in der von Verena Kaspar-Eisert im Kunst Haus kuratierten großangelegten Ausstellung „Über Leben am Land“, die das Dokumentarische wie auch eine gewisse Fokussierung auf die Härten des Landlebens bereits im doppeldeutigen Titel vor sich herträgt.
Das Land wird in dieser großen Ausstellung mit insgesamt 20 Künstler*innen ganz bewusst als Provinz ins Auge genommen – als strukturschwaches „Hinterland“, wenn man so will, das mit den verkitschenden Klischees einer städtischen Perspektive wenig zu tun hat: Bilder von Misthäufen und hochgezüchteten Bullen, von tristen Bushaltestellen, Futtersilos und leeren Straßen.
Ähnlich findet sich das auch in der Albertina wieder, in der Retrospektive des Grazer Fotografen Manfred Willmann, dessen fantastischer und lapidar betitelter Zyklus „Das Land“ hier in aller Breite zu sehen ist. Fotografiert in den Jahren 1981 bis 1993 in der Südsteiermark, porträtieren auch Willmanns ebenso dokumentarische wie subjektiv eingefärbte Bilder den Alltag auf dem Land zwischen Hof und Wirtshaus, Nutztier und Natur schonungslos und zugleich einfühlsam.
Oft entschied Willmann sich dabei für die Nahaufnahme und bildet dekontextualisierte Details ab, leuchtet diese aber mit hartem Blitzlicht ganz buchstäblich erschöpfend und mit großer Tiefenschärfe aus. Spätestens angesichts dieser längst kanonischen, über ein Vierteljahrhundert alten und dennoch immer noch frisch und erstaunlich aktuell, beinahe zeitlos wirkenden Farbaufnahmen stellt sich aber die Frage, wie idealisierend auch der Blick auf die Härten des Landlebens am Ende ist. Denn poetisch überhöhend arbeitet nicht nur der Weichzeichner; poetische Überhöhung findet sich auch in der Betonung von harten Konturen und scharfen Kanten.
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