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: Ostquote? Umverteilung!

Ostdeutsche sucht man auch fast 30 Jahre nach dem Mauerfall in den Eliten mit der Lupe. Quoten versprechen Abhilfe. Doch die Sache ist kompliziert

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Stefan Reinecke

Jahrgang 1959, ist Autor im Parlamentsbüro der taz. Er schreibt vor allem über SPD, Links­partei und Geschichts­politik.

Die Ostdeutschen haben in den Eliten der Republik nichts zu melden. Ob bei DAX-Konzernen oder in Gerichten, Universitäten oder Bundesbehörden, bei Gewerkschaften oder der Bundeswehr: Alles ist fest in Hand der Westdeutschen. Je weiter oben in der Hierarchie, desto weniger Ostdeutsche finden sich dort. Keine Universität zwischen Greifswald und Dresden wird von einem Ostdeutschen geführt. Dass eine Ostdeutsche Kanzlerin ist, verzerrt den Blick auf das Ganze.

Es gibt drei Gründe für dieses Phänomen. In den 90er Jahren war es das politische Ziel, die als diktaturnah deklarierten Osteliten rasch und rabiat abzuwickeln. Die Jobs bekamen Westler. Dafür gab es im Einzelfall mal gute, mal weniger gute Gründe. Die Ostler galten, allen Sonntagsreden zum Trotz, als Defizit-Deutsche, die sich durch möglichst vollständige Anpassung an die Westdeutschen das Ebenbürtige noch zu verdienen hatten. Die kalte Weigerung im Westen, eine neue gemeinsame Verfassung zu entwickeln, brachte diese Arroganz unzweideutig zum Ausdruck. Der Osten rangierte für die Bundesrepublik nicht auf Augenhöhe, sondern war ein Sozialfall, stets verdächtig, politisch unzuverlässig zu sein, und brauchbar vor allem als Absatzmarkt. Das wirkt bis heute nach.

Zudem neigen Eliten dazu, sich abzuschotten. Eine Konzernführung, in der westdeutsche Männer aus dem Bürgertum unter sich sind, rekrutiert Nachwuchs, der westdeutsch, männlich und bürgerlich ist. Noch dazu hat sich im Osten über die Jahrzehnte eine, was Karriere angeht, zögerliche, Haltung verfestigt, wenn auch bei Jüngeren weniger als bei Älteren. Ostler zweifeln oft stärker an sich selbst, scheuen den Einsatz der Ellenbogen und neigen eher dazu, die eigene Community gegen ein oft als Bedrohung empfundenes Außen zu schützen (was sehr hässliche Seiten hat).

Die Chancenungleichheit, in den 90er-Jahren betoniert, wird weitervererbt. Muss man diese Verkarstung nicht mit der Brechstange aufstemmen – nämlich mit einer Quote für Ostdeutsche? Diese Idee erscheint erst mal sympathisch, auch weil manche Argumente ihrer Gegner eher an den Tresen als in den Bundestag passen. Etwa wenn der Ostbeauftragte der Bundesregierung erklärt, dass eine Ostquote nichts tauge, weil sie ja auch in Jogi Löws Nationalelf schädlich wäre. Also: Quote her, aber schnell?

Bevor man im Überschwang, Gutes zu tun, zur Ostquote greift, sollte man die Risiken- und Nebenwirkungen beachten: Wer ist ostdeutsch? Der 35-Jährige, in Rostock geboren, der in München studiert und in Hamburg Referendariat gemacht hat? Oder der 35-Jährige, der in Wiesbaden geboren wurde, in Dresden studierte und in Leipzig Referendar in einer Kanzlei war? Das ist keine Haarspalterei. Auch die Linkspartei, die die Quote fordert, hat bis jetzt keine wetterfeste Definition vorgelegt. Aus gutem Grund: Es gibt wohl keine, die vor Gerichten standhalten würde.

Seit 1989 sind mehr als 3 Millionen zwischen Ost und West umgezogen, Berlin ist sowieso ein eigener Fall. Ostdeutsch ist, anders als weiblich, eine vage Kategorie, die sich juristisch wasserdicht kaum fassen lässt. Und in zehn Jahren wird eine trennscharfe Definition von ost- und westdeutsch noch schwieriger sein.

Zudem: Warum nur eine Quote für Ostdeutsche? MigrantInnen werden seit Jahrzehnten bei Bildung, Jobs und Wohnungen benachteiligt. Das gilt ebenso für Kinder der Unterschicht, deren Aussicht, in die Elite aufzusteigen, seit Jahrzehnten schrumpft und die in der öffentlichen Wahrnehmung nahezu unsichtbar sind. Auch Frauen sind in Spitzenjobs unterrepräsentiert.

Die Frauenquote in Parteien hat gezeigt, dass die Quote ein wirksames Mittel sein kann, um Gleichberechtigungsansprüchen endlich Geltung zu verschaffen. Lasst also tausend Quoten blühen? Für Ostdeutsche, Frauen, Migranten, Unterschichten? Die Aufzählung ist verlängerbar.

Man kann auch als Linksliberaler eine ausgeweitete Quotenpolitik für einen Holzweg halten

Die Vorbehalte gegen Quoten sind vor allem konservativer Provenienz. Konservativen ist Gleichheit suspekt, Linke haben genau deshalb Sympathien für Quoten. Aber man kann auch als Linksliberaler eine ausgeweitete Quotenpolitik für einen Holzweg halten. Denn sie verlagert den Kampf um Anerkennung von der gesellschaftlichen Arena in die Sphäre des Staates. Das Ringen um Gleichheit, ein Kraftzentrum demokratischer Öffentlichkeit, wird verrechtlicht und bürokratisiert, Auseinandersetzung womöglich erstickt. Man kann bezweifeln, dass eine Gesellschaft, die für jede benachteiligte Gruppe eigene Zugangsrechte schafft, wirklich gleicher wäre. Wenn sich die BürgerInnen vor allem als Angehörige benachteiligter Gruppen begegnen, ist das eher Schreckensbild als erstrebenswertes Ziel.

Um mehr Gleichheit zu erreichen, wäre es klüger, die andere Seite – die Privilegierten – ins Auge zu fassen, anstatt Benachteiligte mit gesonderten Rechten auszustatten. Die Bundesrepublik ist eine Klassengesellschaft. Die Wirtschaftselite ist westdeutsch und männlich, abgeriegelt gegen Leute, die nicht aus Familien mit Geld stammen. In diesen Kreisen sind Frauen, Migranten, Ostdeutsche und Kinder von Hartz-IV-Eltern etwa so häufig wie schwarze Drag-Queens beim Ku-Klux-Klan. Diese Elite sorgt robust dafür, unter sich und unangetastet zu bleiben. Eine Erbschaftsteuer, die die extreme Anhäufung von Vermögen über Generationen hinweg zumindest abbremsen könnte, haben konzernnahe Lobbyorganisationen erfolgreich torpediert.

Durchschnittsfamilien im Westen haben ein Vermögen von 140.000 Euro, im Osten ist es weniger als die Hälfte. Dieses Gefälle wird künftig noch größer werden. Die großen Erbschaften kommen Westdeutschen zugute. Jährlich wird Vermögen von mehr als 200 Milliarden Euro vererbt, Tendenz steigend – und weitgehend steuerfrei. Man kann das ändern. Mit einer fairen Erbschaftsteuer. Ganz ohne Quote.