Sonderbarer Jugendschutz

Auf Platzverweis folgt Hausvisite: Minderjährige, die durch vermeintliche Antifa-Aktivitäten auffällig wurden, bekommen neuerdings Besuch – von der Hamburger Polizei, die damit Schlimmeres verhindern zu wollen vorgibt

von Andreas Speit

Auf den Platzverweis folgte der Hausbesuch. Durchaus überrascht waren die Jugendlichen, als die Polizei zu ihnen nach Hause kam. Auch die Eltern verwunderte die Visite, hatten ihre Kinder doch nur an Anti-Nazi-Demonstrationen teilgenommen. Allerdings hatten sie auch – etwa bei Aktionen gegen die NPD oder die „Freien Kameradschaften“ in Harburg und Schnelsen – Platzverweise erhalten.

„Das ist kein Straftatbestand“, bestätigt zwar eine Polizeisprecherin der taz und erklärt, dass einem Platzverweis auch keine „strafbare Handlung“ vorausgegangen sein muss. Gleichwohl haben Beamte der Dienstgruppe „Jugendschutz“ in den vergangenen Monaten mehrere 14- bis 17-Jährige zu Hause aufgesucht. Zur Begründung erfuhren die Eltern, ihr Kind drohe „ins linkskriminelle Milieu abzurutschen“.

Einige betroffene Jugendliche wandten sich nun an die taz. „Gegen späteren Abend standen die vor der Tür“, erzählt da die 17-jährige Anna*. Ein Mann und eine Frau, beide in Zivil, hätten dem Vater berichtet, dass die Tochter bei den „Linken“ sei. Sie hätte zwar keine Straftaten verübt, aber das könne ja noch passieren, aus der Gruppe heraus. Und dann würde es heißen: „Mitgehangen, mitgefangen“. Vorstrafen, hätten sie zudem gewarnt, könnten so manchen Studienweg versperren. Dem Vater sei nahe gelegt worden, seine Tochter zu einem „Antigewalttraining“ zu schicken.

So ein Seminar sollte auch Petra* besuchen, „um Schlimmeres zu vermeiden“. Hier standen die Beamten am Mittag vor der Tür: „Meine Eltern meinten gleich, dass ich jetzt nicht mehr zu Antifa-Demos gehen dürfte“, berichtet die 15-Jährige. „Bei meinen Eltern haben die erst angerufen“, sagt Martin*. Nach einem abendlichen Besuch, so derder 16-Jährige, hätten seine Eltern dann auch geschimpft. „Die Polizei hatte auch gleich eine Akte über mich dabei“, sagt er.

„Vorbei kamen sie nicht“, erzählt dagegen Klaus*. Die Behördenvertreter hätten aber mehrmals in der Woche angerufen. „Als sie mit meiner Mutter sprachen, meinten sie, ich bewege mich in kriminellen Kreisen“, sagt der 16-Jährige. Der Polizist empfahl dann ein siebenwöchiges Antigewalttrainingscamp, mit der Schule würden sie schon alles regeln. Auf Nachfrage von Klaus‘ Mutter räumte der Beamte ein, dass an solchen Camps sonst nur „kriminelle Jugendliche“ teilnähmen – „und Jugendliche aus dem Straffvollzug“.

Sieben weitere Jugendliche berichten von „Besuchen bei den Eltern“. Alle hatten zuvor im Zuge von ausgestellten Platzverweisen ihren Namen angeben müssen. Einen solchen Verweis indes erteilt die Polizei recht schnell bei Aktionen gegen Rechts. So konnte unlängst bei dem Neonaziaufmarsch gegen vermeintliche „Kinderschänder“ in Schnelsen beobachtet werden, wie Zivilbeamte auf Jugendliche, die am Straßenrand der Marschroute standen, zugingen – und sofort Platzverweise aussprachen. Dabei war der rechte Umzug noch nicht mal in der betreffenden Straße angekommen.

Zu dieser Maßnahme wollte die Polizeisprecherin gestern nichts sagen. Ein Beamter der Dienstgruppe „Jugendschutz Mitte“ erläuterte aber, dass seit drei Jahren geschulte Beamte mit den Eltern solche „Normen und Hilfe verdeutlichenden Gespräche“ führen. Meist würden die Besuche telefonisch vereinbart. „Wir möchten so präventiv auf die Jugendlichen wirken“, sagt er, „um nicht erst einzugreifen, nachdem eine Straftat begangen wurde.“ Die Daten der Platzverweise würden „im Haus“ gleich weitergereicht, erläutert er – und bestätigt, dass die Betroffenen dafür keine Straftat verübt haben müssen: „Sie müssen aber irgendwie auffällig gewesen sein.“ Bei Jugendlichen die bereits durch Gewalttaten aufgefallen seien, wirkten die Besuche auch nachhaltig.

Eine Unterscheidung zwischen kriminellen Aktivitäten und antifaschistischem Engagement scheint dabei nicht gemacht zu werden. Der Besuch der Freunde und Helfer bleibt allerdings nicht ohne Folgen: Er wird in einer Akte vermerkt.

* Name geändert