„Nicht klar, was passiert“

Superheldinnen und andere Trash-Ikonen bevölkern die Stücke von Constanza Macras. Dazu kommen Popsongs, Angst und Gewalt. Ein Gespräch mit der Choreografin über Nostalgie und Propaganda

INTERVIEWKATRIN BETTINA MÜLLER

taz: Das neue Stück „No Wonder“ basiert auf amerikanischen Fernsehserien wie „Wonder Woman“. Worum geht es da?

Constanza Macras: Das war eine Idee von Lisi Estaras, mit der ich das Stück mache. Wir spielen beide mit. Lisi ist eine großartige Performerin, sehr laut auf der Bühne, im wirklichen Leben eher schüchtern. Umgekehrt wie bei mir. Ich bin im Leben viel lauter als auf der Bühne. Dieser Gegensatz passt zu den Superheldinnen, ihren geheimen Leben, ihren Verwandlungen. „Wonder Woman“ stammt vom Ende der Siebzigerjahre und ist sehr propagandistisch; diese ganze amerikanische Propaganda haben wir auch in Argentinien während der Diktatur gesehen. In jeder Episode erscheint Wonder Woman, gekleidet in eine amerikanischen Flagge, in irgendeinem sehr fremden Land in Südamerika, meistens irgendwie von Nazis beherrscht. Der Aspekt der Propaganda hat mich immer an der Popkultur und Unterhaltungsindustrie interessiert.

Wie gehen Sie damit um?

Die Superheldinnen stehen für den Wunsch nach Verwandlung, die Fluchten, die man sich im Leben wünscht. Aber das allein genügte uns nicht. Eine zweite Referenz für unser Stück sind Dichterinnen, die Selbstmord begangen haben, wie die argentinische Dichterin Alesandra Pizarnik und Sylvia Plath. Denn auch da steckt etwas vom Traum der Omnipotenz, etwas von Allmachtsfantasien drin: zu wissen, dass man sich umbringen kann, und es zu tun.

Sie selbst gelten in Berlin als erfolgreiche Choreografin und werden selbst ein wenig als Superheldin der Tanzszene gefeiert. Können Sie das genießen?

Nein, das ist eher widersprüchlich. Erfolg ist eine sehr relative Eigenschaft. Für mich ist der schönste Erfolg, dass ich mit Menschen, die ich interessant finde, zusammenarbeiten kann. Ich lasse mich von der Gruppe inspirieren und die Gruppe wird immer mehr zu einem eigenen produktiven System. Das ist der schönste Teil der Arbeit. Aber wir, meine Company Dorky Park und ich, sind jetzt in der schwierigen Situation, dass wir nicht wissen, wo in Berlin wir unser Repertoire weiter aufführen können. Die Schaubühne hat dafür, seit sich Sasha Waltz mit der Abteilung für Tanz selbstständig gemacht hat, kein Geld mehr. Dabei waren alle unsere Aufführungen dort ausverkauft. Deshalb ist das so eine Sache mit dem Ruf des Erfolgreichen – wir haben Gastspielauftritte in Südafrika und Japan für nächstes Jahr; aber was hier passiert, ist nicht klar.

In „Back to the present“ war die Musik der Vergangenheit sehr wichtig. Woher kommt diese Nostalgie, vermissen Sie etwas in der Gegenwart?

Nein. Ich glaube, ich lebe zu hundert Prozent in der Gegenwart. Aber man kann sich nicht nur auf die Gegenwart konzentrieren. Und dann finde ich es zum Beispiel beunruhigend, wie die Achtzigerjahre rezipiert werden, so cool, so großartig, ohne Kontext, was sie bedeutet haben. Warum man sich so hässlich gekleidet hat, wie nah man sich der Apokalypse fühlte. Die Songs zum Beispiel, die die Angst vor atomarer Bedrohung zum Inhalt hatten: Das alles bedeutete etwas, da steckte viel dahinter und ist heute nur noch kitschig. Das Interessante an der Vergangenheit ist also, dass sie dauernd wiederkehrt. Unsere Identität, unsere Moden, unser Leben in der Musik – ja eigentlich kommt sogar die Politik der Achtzigerjahre zurück. Es ist wieder ein bisschen wie in der Reagan-Zeit. Es riecht wieder so.

Kindheit und der Wunsch jemand anderes zu sein, war auch Thema von „Scratch Neukölln“, das ihr tatsächlich mit Kindern aus Neukölln gemacht habt, mit deren Musik und Träumen. Glauben Sie, dass es wichtig ist, etwas aus der Kindheit zu retten?

Mit den Kids aus Neukölln würde ich gern weiterarbeiten, die kommen jetzt in die Pubertät. Das kann so schrecklich sein, da kann ich mich gut dran erinnern. Die Erinnerung an die Kindheit spielt wohl in jedem Leben eine Rolle. Ich erinnere mich an einen Tag in Argentinien, 1992, ein Tag, als ein Bombenattentat auf die israelische Botschaft verübt wurde. Nahebei war ein Kindergarten. Ich bin dahin gerannt und sah alle die Kinder. Jedermann schrie und war panisch, nur die Kinder schienen sich nicht zu fürchten. Sie weinten nicht. Als Kind bekommt man viele Dinge mit, ohne sie zu verstehen, ohne Angst zu haben und ohne darüber zu urteilen, das ist gut, das ist schlecht. Man weiß noch nicht, um was es geht. Ich denke, es ist dieser Blick, der mich immer wieder beschäftigt.

Wenn ich an „Scratch Neukölln“ oder „Big in Bombay“ denke, dann scheint mir Ihr Arbeitsansatz oft eine ethnologische Exkursion.

Nein, das ist wohl eher ein anthropologisches Interesse daran, wie die Lebensumstände einen prägen, wie man damit klarkommt. Wie sind alle Kreaturen der Anpassung. „Big in Bombay“ war im Übrigen kein Stück über Indien, das ist ein Missverständnis, sondern über die Unterhaltungsindustrie in der dritten Welt und über den extremen politischen Hintergrund dieser Industrie. Mich interessiert die Funktion der Unterhaltung, dieses Glücklichmachen der Menschen, während alles andere schrecklich ist. Bollywood ist die größte Filmindustrie der Welt und unter den vielen Themen spielt auch der Terrorismus, die Konflikte mit den Sikhs oder zwischen Sikhs und Muslimen eine Rolle, aber wie. Da kommt in der einen Szene ein Bombenattentat auf ein Taxi, dann fahren sie aufs Land und singen und tanzen. Diese Konstruktionen, diese Schnitte zwischen verschiedenen dramatischen Konzepten haben mich interessiert.

Die Uraufführung von Constanza Macras „No Wonder“ läuft vom 20. bis 22. August, HAU 1, 22 Uhr