Speed fürs Volk

Gute Miene zum bösen Computerspiel: Die Leipziger Game Convention ist der Weltjugendtag der Gottlosen. Trotz der Selbstbeweihräucherungskunst der beteiligten Firmen bleibt die Gaming-Community oft reserviert. Und Daddeln bleibt ein Jungsding, entgegen allen anders lautenden Beteuerungen

Haushaltspenetration ist für die Branche das Gebot der Stunde.In Deutschland könnte sienämlich besser sein

VON JAN ENGELMANN

Ach, diese Unbeholfenheit. Links und rechts sausen die Banden an mir vorbei, der Racer schabt an den Begrenzungen des Hindernisparcours entlang, ab und zu streikt die Lenkung. Reaktionsschneller müsste ich sein. Mich ganz dem Flow hingeben, kybernetisch koppeln an die Vorgänge auf dem LCD-Display. Zumindest verrät das der mitleidige Blick des Profi-Daddlers, der versucht, auch einen kleinen Blick auf das matt glänzende Handheld zu erhaschen.

Gut 25 Jahre nach Ataris „Space Invaders“ bin ich wieder in ein Raumschiff gestiegen, doch das Gefühl ist jetzt anders. Weniger fummle ich selbstvergessen vor mich hin, eher ist es eine knifflige Leistungsprobe, die gewisse Vorab-Qualifikationen erfordert. Nur die wenigsten Besucher der Game Convention in Leipizig werden diesen Eindruck nachempfinden können. Bei der mittlerweile wichtigsten europäischen Messe für Computer- und Videospiele überwiegen ganz klar die versierten Konsolen-Cowboys, die Software-Entwickler und Game-Studies-Lehrstuhlinhaber von morgen. Betont gelassen schlendern sie durch die lärmenden Hallen, begutachten die Pre-Release-Version von „Age of Empire 3“, nörgeln ein wenig an der Ergonomik der Playstation Portable herum und diskutieren über die Notwendigkeit von Zusatzmodulen für das 23. Level von Schlagmichtot. Sechzehnjährige CEOs von obskuren Online-Gaming-Fanzines tauschen Visitenkarten aus. Ab und zu müffelt es ein wenig nach Schweiß. Aber Aufregung, nein, Aufregung ist nicht zu spüren.

Dabei haben die Leipziger Aussteller doch wirklich alles getan, um die Kundschaft zu ködern. Microsoft präsentierte mit großem Getöse seine neue Heimkonsole Xbox 360, die das Weihnachtsgeschäft ankurbeln soll und mit einer „Gleitkommarechenleistung“ von einem Teraflop aufwartet. So, so. Obwohl bei der Vorstellung in einem nachempfundenen Amphitheater alle Register der Selbstbeweihräucherung gezogen werden, bleibt die Zielgruppe etwas reserviert. Kein Wunder, versprechen die Redmonder doch, als erster Hersteller eines Home-Enterntainment-Systems mit umfassenden Jugendschutz- Vorrichtungen aufzuwarten.

Auch die japanische Konkurrenz ist redlich bemüht, besorgte Eltern und bisherige Gaming-Skepiker mit neuen Angeboten zu überzeugen: Nintendo stellt das neue Spiel „Nintendogs“ vor, bei dem es darum geht, einen fotorealistisch animierten Welpen in den Tatsachen des Lebens zu unterweisen. Vom „Knuddeligkeitsfaktor“ schwärmt Kampagnen-Luder Eva Padberg, als vorhersehbar und langweilig apostrophieren die Hardcore-Zocker derlei Versuche, den Erfolg des Tamagotchi zu wiederholen. Sony setzt dagegen auf „EyeToy: Kinetic“, ein interaktives Work-out-Programm für die Plattform PS2, das die eigenen Bewegungen per Kamera in ein virtuelles Umfeld überträgt und Tai-Chi-Übungen mit einer Armada von Kugelblitzen aufpeppt. Vielleicht das erste konsequente Crossover zwischen Wellness-Welle und Beat-’em-up-Drastik.

Ob diese Maßnahmen die Absatzwünsche der Branche befriedigen werden, ist längst nicht ausgemacht. Daddeln bleibt ein reines Jungsding, entgegen aller Beteuerungen. In ihrer Konzentration auf die zentralen Schlüsselreize erweist sich die Game Convention als ein Weltjugendtag der Gottlosen, eine frivole Feier des Stupiden. 90 Prozent der anwesenden Damen sind Hostessen, die sich lasziv auf Sitzsäcken lümmeln und gute Miene zum bösen Spiel machen. Während der Demonstration des betont männerbündischen Combat-Games „Panzer Elite Action“ bekommen zwei osteuropäische Bikini-Models ein Paintbrush in Dinosaurier-Anmutung verpasst. „Ich dachte erst, das sei Orangenhaut“, grunzt der Moderator.

Harmlose Mädchen-Software-Titel wie „Lass uns reiten“ oder „Weiße Stute in Gefahr“, die etwas verschämt in die Randbereiche der GC-Family-Halle gerückt wurden, erhalten vor diesem Hintergrund eine ganz andere Bedeutung. „Haushaltspenetration“ ist das Gebot der Stunde. Sie könnte nämlich besser sein. In Deutschland verfügen erst 10 Prozent der Haushalte über eine Konsole, in den USA sind es dagegen bereits 40 Prozent. Immerhin, so verlautbart der amerikanische Softwareriese Electronic Arts, rechneten sich bereits 46 Prozent der Deutschen bereits zur Gaming-Community, trotz der naturromantischen Altlasten beim Menschenbild.

Eine grundsätzliche Veränderung in der Strategie der Spiele-Publisher ist vorerst nicht zu erwarten. Auch in der neuen Saison überwiegen Fortsetzungen erfolgreicher Rennsimulationen wie „Need for Speed“ und Lizenzen bekannter Stoffe wie „Harry Potter“, „Star Wars“ oder „King Kong“, die von den riesigen Marketingbudgets der Kinofilme profitieren. Im heiß umkämpften Segment des Fußball-Genres kündigen die beiden Konkurrenten Konami („Pro Evolution Soccer 5“) und EA („Fifa 2006“) allenfalls Verbesserungen bei der Ballphysik und den Zweikampf-Animationen an. Es sind schließlich Kleinigkeiten, die bei der Kaufentscheidung den Ausschlag geben.

Während Lessing noch erklärte, das Spiel solle „den Mangel der Unterredung ersetzen“, so muss man für die Unterhaltungsbranche konstatieren, dass längst das Gegenteil der Fall ist. Versprochen wird viel, gehalten wird wenig. Denn wo sind sie denn, die Spiele, die nichtlinear aufgebaut sind, eine Story von hinten nach vorne erzählen? Wo sind die Spiele, die sich vom einfachen Gut-versus-Böse-Schema verabschieden? Entsprechende Wunschkataloge gibt es längst. Aber sie stammen von älteren, verhärmten Männern.