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Alle Tenöre sind emigriert

Maerzmusik zeigte den lange verschollenen Stummfilm „Stadt ohne Juden“, neu vertont von Olga Neuwirth

Von Katharina Granzin

Der Stummfilm „Die Stadt ohne Juden“, von Hans Karl Breslauer 1924 gedreht, galt bis auf ein kurzes Fragment als verschollen beziehungsweise verloren. Erst 2015 tauchte auf einem Pariser Flohmarkt eine vollständige Kopie davon auf. Das Filmarchiv Austria hat das Werk rekonstruiert, mit neuen Zwischentiteln versehen und für die Wiederaufführung aufbereitet. Die Komponistin Olga Neuwirth wurde beauftragt, eine Musik dazu zu schreiben. Dieses Komplettpaket erlebte seine Uraufführung im Herbst 2018 in Wien; für die Maerzmusik kam das Projekt nun nach Berlin.

Der Film basiert auf dem Roman „Die Stadt ohne Juden“ des Autors Hugo Bettauer, 1922 erschienen. Es ist ein satirisches, im Nachhinein auf unheimliche Weise prophetisch wirkendes Stück Prosa, das den Antisemitismus seiner Zeitgenossen aufs Korn nimmt. Während der Roman in Wien spielt, ist der Film vorsorglich in ein fiktives Land namens „Utopia“ verlegt worden.

Buch und Film erzählen die Geschichte eines mehr oder weniger fiktionalisierten Österreich, in dem die antisemitische Stimmung derart weite Kreise gezogen hat, dass die Regierung ein Gesetz zur Ausweisung aller Juden verabschiedet. Doch der erzwungene Massen­exodus hat furchtbare Folgen. Es können keine Operetten mehr aufgeführt werden (unter anderem sind alle Tenöre emigriert), in den Theatern werden nur noch Heimatschnulzen gespielt, aus den Kaffeehäusern sind Bierkneipen geworden, und eine bäuerliche Bevölkerung in Loden und Trachten bevölkert die Straßen der vorher so weltläufig schicken Hauptstadt. Doch Ende gut, alles gut: Eine erfolgreiche Intrige bringt die Juden zurück, die unter Jubel und Ehrenbezeigungen begrüßt werden. So weit die fiktive Handlung. In der Realität wurde der österreichische Autor Hugo Bettauer 1925 von einem Nazi ermordet.

Wohl weil der Film gewisse dramaturgische Schwächen hat, die das Verstehen der Handlung erschweren würden, sind für die Berliner Veranstaltung Josef Bierbichler und Samuel Finzi engagiert worden, wichtige Passagen aus Bettauers Roman vorzulesen. Beide wirken aber seltsam schlecht vorbereitet und entledigen sich ihrer Aufgabe so entspannt routiniert und dabei so fehlerbehaftet, dass es fast an Unverschämtheit grenzt.

Zum Glück sind die Mitglieder des Ensembles PHACE, die nach der Pause endlich Musik machen dürfen, um Welten besser disponiert. Olga Neuwirths Filmkomposition wird an diesem Abend zu einem großen Teil live aufgeführt. Ein anderer großer Teil ist in Form von elektronischen Samples präsent. Diese Spur liegt permanent im Hintergrund, als eine Art Grundierung allen Geschehens und als große Echokammer, in der lang gehaltene wabernde Klänge eine Atmosphäre erzeugen, der etwas vage Jenseitiges eigen ist. Die musikalischen Fetzen, von denen diese Soundtapete durchsetzt ist – Anklänge an Operettenmelodien, Gassenhauer, Marschmusik – dringen gleichsam geisterhaft wie aus einer anderen Dimension durch.

Die real existierenden MusikerInnen auf der Bühne haben immer wieder Pause, kommen vor allem dann zum Einsatz, wenn es gilt, die Filmhandlung besonders zu akzentuieren, und bearbeiten im Übrigen ihre Instrumente auf sehr vielfältige Weise. An dieser Handlungsoberfläche leistet die Komponistin sich den einen oder anderen musikalischen Scherz und hat spürbar Spaß am Mickey-­Mousing, dem akustischen Verstärken einer Handlung (zum Beispiel wenn das Schlagwerk den Klaps auf den Po hörbar macht).

Doch trotz aller Referenzen an das Genre liegt Neuwirths Vertonung weit ab von allem, was man als Filmmusik gewohnt ist. Sie hat keine musikalische Illustrierung geschaffen, die der besseren Wirkung des filmischen Geschehens dient. Eher scheint es umgekehrt so zu sein, als beschwöre die Musik von irgendwoher jene Vergangenheit herauf, aus der diese Filmbilder gekrochen kamen, und kommentiere sie nun aus der Distanz. Und Distanz tut da auf jeden Fall gut.

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