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Esther Slevogt betrachtet das Treibenauf Berlins Bühnen

Der gute Alceste hat sich vorgenommen, ganz ohne Heuchelei durchs Leben und die Gesellschaft zu kommen. Das hört sich erst mal gut an. Bei genauerem Hinsehen birgt dieser Vorsatz jedoch Unfallgefahr. Was die einen als Heuchelei empfinden, ist für die anderen schlicht gutes Benehmen, das aus Regeln erwachsen ist, die das gesellschaftliche Miteinander regeln. Doch von den Unfällen solcher sozialer Experimente lebt nun mal die Komödie. Nicht erst seit Molière, der mit dem „Menschenfeind“ Alceste ein wunderbares Exemplar erschuf, um zu zeigen, wie man an der Absicht, echt und authentisch zu sein, gesellschaftlich und auch in der Liebe Schiffbruch erleiden kann. Im Deutschen Theater inszeniert die Regisseurin Anne Lenk die berühmte Komödie – mit Ulrich Matthes in der Titelrolle (Deutsches Theater: „Menschenfeind“, ab 29. 3., 19.30 Uhr).

Die einen wollen einfach nur authentisch sein, die nächsten finden Geld irgendwie lebensverfälschend: die Verhältnisse in unserem Spätkapitalismus sind nun mal nicht so leicht zu durchschauen. In der Komödie „Nein zum Geld“ will ein Mann namens Richard einen Millionengewinn (beziehungsweise den dazugehörigen Lottoschein) schreddern, weil Geld angeblich nicht glücklich macht. Doch seine Freunde und Familie versuchen, ihn davon abzuhalten. Doch wie weit werden sie gehen? Über Richards Leiche am Ende gar? Denn im Gegensatz zu ihm finden sie es eigentlich ganz nett, reich zu sein. Das ist in etwa der Gegenstand der rasanten Komödie „Nein zum Geld“ von Flavia Coste, die die Schauspielerin und Regisseurin Tina Engel inszeniert (Renaissance Theater: „Nein zum Geld“, ab 30. 3., 20 Uhr).

Am 29. März veranstaltet die deutsch-britische Performance-Gruppe Gob Squad unter der Überschrift „I love you, Goodbye“ einen persönlichen Brexit Abend, der bis weit nach Mitternacht gehen soll. Denn der 29. März war der ursprüngliche Stichtag, an dem Großbritannien aus der EU austreten wollte. Um Punkt Mitternacht. Aber das kriegen sie jetzt gar nicht hin, diese Briten. Der Brexit ist erst mal verschoben. Zwei Wochen? Zwei Monate? Wer kann das nach dem ganzen Chaos noch sagen?

Trotzdem werden die Performer*innen von Gob Squad, die sich in den 1990er Jahren als Ergebnis eines deutsch-britischen Studienaustauschs zwischen der Universität Gießen und der Notting­ham-Trent-Universität zusammenfanden, hier ihre Bilanzen, Gedanken und vielleicht auch ein paar Tränen präsentieren, diese Kinder des gefährdeten europäischen Traum, als die sie sich nun mal verstehen (HAU: „I love you, Goodbye!“, 29. 3., 19 bis 1 Uhr).

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