nord🐾thema
: sport & fitness

die verlagsseiten der taznord

Hoch konzentriert die Sehne spannen

Kyūdō, das heißt im Japanischen „Weg des Bogens“. Als Sport diene es dem Körper mindestens so wie dem Geist, sagen die, die ihn ausüben – so wie seit 50 Jahren der Verein Alster-Dojo in Hamburg-Lokstedt

Als wäre der Vorgang in Einzelbilder zerlegt: Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Hamburger Kyūdō-Meister-schaften am 17. März Foto: Christian Görtzen

Von Christian Görtzen

Bogenschießen ist nicht gleich Bogenschießen. Das merkt jeder, der schon einmal vor Ort oder im Fernsehen die olympische Variante gesehen hat – und dann Kyūdō kennenlernt: Bei der erstgenannten, der weithin bekannten Sportart sind Emotionen erlaubt, ja: durchaus erwünscht. Da werden die Athletinnen und Athleten selbst noch kurz vor dem Abschießen des Pfeiles angefeuert, und bei einem Treffer mit einer satten Ringzahl brandet Jubel auf.

Bei Kyūdō, einer seit dem 16. Jahrhundert ausgeübte Kunst des japanischen Bogenschießens, herrscht Stille – und zwar von einer derart meditativen Ausprägung, dass dies schon irritierend wirken kann.

Niemand spricht etwa bei der 42. Hamburger Einzelmeisterschaft, abgehalten Mitte März im Alster-Dojo im Stadtteil Lokstedt: Nahezu atemlos verfolgen die übrigen gut 20 Starter im hinteren Bereich des Raumes, was die aktiven Konkurrenten und Konkurrentinnen an der Fensterfront zustande bringen. In einer Fünferformation stehen sie da, Frauen und Männer nebeneinander, allesamt in traditioneller, japanischer Kleidung, ohne Schuhe, in weißen Strümpfen oder barfuß.

Sie alle wirken tiefenentspannt – und zugleich hochkonzentriert: Ihre Bewegungsabläufe sind ritualisiert, es wirkt, als sei der gesamte Ablauf vor dem Abschießen eines Pfeiles durch die Fensteröffnungen auf die 28 Meter entfernten Ziele, Durchmesser 36 Zentimeter, in Einzelbilder zerlegt: Spannt der vorderste Teilnehmer die Sehne seines asymmetrisch geformten Bogens, japanisch: Yumi, legt der Starter hinter ihm gerade seinen Bambuspfeil ein. Und in seinem Rücken erhebt sich die nächste Konkurrentin gerade ebenso anmutig wie lautlos, um sich in Position zu stellen.

Kein Jubel wie im Fernsehen: Gefühlsregungen sind nicht vorgesehen, nicht seitens der Sportler, nicht seitens der Beobachter. Erst nachdem die fünf Aktiven in aller Bedächtigkeit ihre je vier Pfeile geschossen haben, sind Stimmen zu vernehmen. Jemand ruft die Zahl der Treffer, jemand anderes notiert sie per Filzstift auf einem großen weißen Blatt.

Kyūdō, das heißt übersetzt „Weg des Bogens“. Ziel ist es, dass im vollen Auszug und bei der Schussabgabe der Zustand „Mushin“ eintritt, was sich mit „leerer Geist“ übersetzen lässt: Es geht also um das Erreichen eines Zustandes von so hoch verdichteter Konzentration, dass für andere Gedanken kein Platz mehr ist.

Bei all der meditativen Kraft im gesamten Dojo ist es nicht ganz leicht, einen Gesprächspartner zu finden – Pause ist im Kyūdō allem Anschein nach nicht gleich Pause. Erster Versuch: Der Dojo-Pressebeauftragte steuert auf einen kräftig gebauten Mittfünfziger zu, der gerade kauend aus dem Tee- und Essensraum kommt. Die Frage, ob er kurz über den Sport sprechen könne, scheint ihn zu überrumpeln. „Wie? Jetzt?“, entgegnet er mit halbvollem Mund – „Ich bin mitten im Wettkampf!“

„Eine lebenslange Übung, bei der nicht Muskelkraft, Jugend und technische Hilfen entscheidend sind, sondern Ausdauer, Kontinuität, Selbstkritik und der eigene Wille“

Zweiter Anlauf: Der Alster-Dojo-Vorsitzende Theo Schotten begrüßt – mit einer Verbeugung. Kyūdō sei ein Sport, der gleich zwei Fitness-Aspekte biete, sagt er: einen körperlichen – mit dem Spannen der Sehne bei einer Bogenstärke von bis zu 26 Kilogramm; aber vor allem, so Schotten, einen mentalen: „Kyūdō hat ganz viel mit Konzentration, mit Körperwahrnehmung zu tun. Das ist ja das Schwierige, denn der Mensch ist ja keine Maschine. Da gibt es den Stress des Alltags, schwierige persönliche Situationen, und dann geht es darum, sich zu justieren, sich auf die Abläufe einzulassen.“

Lebenslanges Lernen sei das Credo. „Es gibt nie Stillstand, man kann immer noch etwas verbessern“, erklärt Schotten, der selbst früher Berufsmusiker war. Ganz wichtig sei der Respekt voreinander. „Mit Bescheidenheit gewinnen, mit Würde verlieren, darum geht es“, sagt Schotten, ehe er nach etwa zehn Minuten zur Fortführung des Wettbewerbs aufgefordert wird.

Das Alster-Dojo in Hamburg gibt es seit 1969. Mit seinen 50 Jahren ist der Verein der älteste seiner Art in Deutschland. Neben Kyūdō gibt es hier noch Iaido, die „Kunst des Schwertziehens“; Sojutsu, die „Kunst des Speerfechtens“, und Kendo, japanischen Schwertkampf.

Was Kyūdō bewirken könne, formuliert der Verein so: „Vieles.“ Um dann auszuführen: „Unter anderem gesunde Körperhaltung und Atmung, bessere Selbstwahrnehmung und achtsames Bewegen, bewussterer Umgang mit eigenen Schwächen und Stärken und Erfahrungsgewinn aus dem eigenen Tun.“ Es handele sich um „eine lebenslange Übung, bei der nicht Muskelkraft, Jugend und technische Hilfen entscheidend sind, sondern Ausdauer, Kontinuität, Selbstkritik und der eigene Wille“.

Alster-Dojo e. V., Veilchenweg 34, Hamburg. www.alster-dojo.de