Klospülungen auf Hochtouren

RADSPORT Bei der WM im holländischen Valkenburg stellt sich die Frage, wie es um die Kultur des Dopings bestellt ist? Der Weltverband sendet jedenfalls die falschen Signale

Tylor Hamilton hält rückblickend Dopingtests nur für Intelligenztests für Fahrer und Betreuer

VON TOM MUSTROPH

Radsport ist ein harter Sport, der vor allem den Körper belastet, dachte man immer. Man muss aber auch eine austrainierte Psyche haben und darf sich nicht von Polizeisirenen, negativer öffentlicher Meinung oder Restregungen moralischer Natur beeinträchtigen lassen. Das gilt auch für die Rad-WM im holländischen Valkenburg, die am Sonntag begann. Zum fünften Mal schon treffen sich hier die Radprofis beim traditionellen Regenbogenleibchen-Verteilen am Ende der Saison. Erstmals seit 1994 wurde gestern wieder ein Mannschaftszeitfahren ausgetragen. Premierensieg feierte das deutsche Team Specialized-Lululemon. Die sechsköpfige Equipe unter anderen mit Trixi Worrack, Ina-Yoko Teutenberg und Charlotte Becker sicherte sich WM-Gold. Silber ging an die australische Mannschaft Orica mit der Olympia-Zweiten im Einzelzeitfahren, Judith Arndt. Andreas Klöden, der wegen seiner zwielichtigen Dopingvergangenheit wieder nicht vom Bund Deutscher Radfahrer (BDR) nominiert wurde, ist dieses Mal trotzdem dabei, weil beim Mannschaftsfahren die Profiteams die Berufungen vornehmen.

1998, beim letzten Stelldichein in Valkenburg, gewann der Schweizer Oscar Camenzind das Einzelrennen. Das war ein schöner Erfolg für den Schweizer, der freilich sechs Jahre später von einer positiven Doping-Probe überschattet wurde. Immerhin trat Camenzind umgehend vom Leistungssport zurück. Ivan Basso, Camenzinds Weltmeisterkollege in der U23-Kategorie, hatte solche Anwandlungen nicht. Als er 2006 des Dopings beim Madrider Gynäkologen Eufemiano Fuentes bezichtigt wurde, stritt er die Vorwürfe zunächst ab. Ihm gelang es trotz laufender Ermittlungen sogar, einen Vertrag bei Johan Bruyneels Rennstall Discovery Channel zu ergattern.

Weder er noch Bruyneel störten sich daran, dass sie damit den frisch verfassten Ethikkode der Radsportrennställe verletzten. Solche starken Nerven hatten aber auch die Protagonisten von 1998. Denn da musste noch der Schock der Festina-Affäre tief in den Knochen der Profis gesessen haben. Die Polizei hatte im Juli 1998 Durchsuchungen in Hotelzimmern vorgenommen, Fahrer und Betreuer abgeführt, Unmengen an Epo und Amphetaminen gefunden. Das Peloton reagierte mit Streik und Bummelfahrten. Streikführer war ein gewisser Bjarne Riis. Bei US Postal spülte man aus Angst vor Razzien die Dopingmittel im Klo hinunter. Auch in anderen Teamhotels lief die Toilettenspülung auf Hochtouren.

Zur WM waren aber alle wieder dabei – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit den entsprechenden Medikamenten im Gepäck. Denn Veranstalter und Verband fuhren eine weiche Linie. Vuelta-Organisator Unipublic erwog, das eigene Rennen wegen der Polizeiaktivitäten nicht mehr über die französische Grenze zu führen. Der Weltverband UCI wehrte sich vehement gegen die vom Internationalen Olympischen Komitee verfochtene Zweijahressperre für Doper. Mehr Dopingerlaubnissignale sind kaum denkbar.

14 Jahre und mehrere Dopingskandale später sind wir im Wissen um Dopingdinge schlauer. Ob sich die Mentalität insgesamt geändert hat, ist fraglich. Tyler Hamilton zeigt in seinem Geständnisbuch „The Secret Race“ auf, dass heroische Leistungen im Radsport oft simple Dopingursachen haben. Am Vorabend seines Etappensieges bei der Tour 2003, als er mit gebrochenem Schlüsselbein dem Feld enteilte, hatte er sich einen Blutbeutel zugeführt und so für die notwendige Extrapower gesorgt. Der Ex-Armstronghelfer hält rückblickend Dopingtests nur für Intelligenztests für Fahrer und Betreuer, nicht aber für wirksame Antidopingmaßnahmen. Denn mit ihnen würden nur die Fähigkeiten des fahrenden Personals, Nachweisfenster zu verkleinern, getestet.

Wada-Generalsekretär David Howman ging in einem Interview mit cyclingnews.com von einem zweistelligen Prozentsatz von Dopern im Leistungssport aus. Nur ein Prozent der Kontrollen sind aber positiv. Das bedeutet: Mindestens neun von zehn Dopern kommen ungestraft davon. Am Ende dürfen sie sich vielleicht sogar einer Generalamnestie für Doper erfreuen, wie sie UCI-Präsident Pat McQuaid gerade erst in Aussicht gestellt hat. Was genau in den nächsten Tagen in Valkenburg geschieht, wissen wir vermutlich erst, wenn der Ort zum sechsten Mal Austragungsort einer WM ist und das eine oder andere Geständnis den Jubel von einst hat schal werden lassen.