Die Zeche der Krise zahlen die Kleinen

SPANIEN Beim „Marsch auf Madrid“ protestieren Hunderttausende gegen die rüde Sparpolitik

■ Jeder zehnte Portugiese hat am Samstag gegen die harten Sozialkürzungen zur Rettung des Euro protestiert. Die Demonstranten forderten den Rücktritt der Mitte-rechts-Regierung. In Portugal beteiligten sich nach Medienschätzungen mehr als 1 Million Menschen an den Kundgebungen in 40 Städten. Die Protestmärsche standen unter dem Motto „Zum Teufel mit der (Geldgeber-)Troika! Wir wollen unser Leben“. Auslöser der Proteste in Portugal war die geplante Erhöhung der Sozialabgaben von 11 auf 18 Prozent für Arbeitnehmer. In Aveiro 200 Kilometer nördlich von Lissabon setzte sich ein Demonstrant in Brand. Er überlebte schwer verletzt. (dpa)

AUS MADRID REINER WANDLER

„Wir sollen den Gürtel ständig enger schnallen, dabei sind wir schon längst beim letzten Loch angekommen“, beschwert sich Antonio Martínez. Der 51-jährige arbeitslose Maurer aus dem südspanischen Almería zieht mit Kollegen über die Plaza Mayor in der Madrider Innenstadt. Auf ihren roten T-Shirts steht: „Auf! Sie wollen das Land ruinieren. Verhindern wir es!“ Es ist das Motto des „Marsches auf Madrid“, zu dem am Samstag alle Gewerkschaften Spaniens und 900 Berufsverbände, Organisationen und Initiativen gerufen haben.

Für Martínez ist es nicht das erste Mal, dass er gegen die Sparmaßnahmen der konservativen Regierung unter Mariano Rajoy protestiert. „Es zahlen immer die Gleichen“, beschwert er sich über die Kürzungen von 65 Milliarden Euro in den kommenden drei Jahren. Das ist der Preis für 100 Milliarden Euro aus Brüssel für die Rettung der angeschlagenen Banken und Sparkassen im Land.

Auch die mit 420 Euro spärliche Stütze, die Martínez als Langzeitarbeitsloser im Monat noch bezieht, wäre fast der Sparwut zum Opfer gefallen. Nach Protesten überdachte die Regierung diese Maßnahme. Martínez ist sichtlich müde. „Wir sind um 1 Uhr in der Früh losgefahren“ berichten er. Aus der Stadt Almería kamen 13 Busse, aus der ganzen Region Andalusien kamen 25.000 Menschen in 500 Bussen. Aus dem restlichen Spanien noch einmal 75.000 in weiteren 1.500 Bussen. Zusammen mit denen aus Madrid und der weiteren Umgebung waren es schließlich mehrere hunderttausend Menschen, die ihrer Empörung über die Krisenpolitik Luft machten. Die Regierung sprach von gerade einmal 65.000.

„Früher gab es bis zu 1.800 Euro, heute liegt der Einstiegslohn bei 950 Euro“, so F. Veloz

Die Arbeitslosigkeit liegt über 25 Prozent. Um das Defizit bis Ende 2014 auf unter 3 Prozent zu drücken, wurden die Löhne im öffentlichen Dienst gesenkt, das Weihnachtsgeld gestrichen. In den Krankenhäusern wird Personal abgebaut. Zum Schuljahresbeginn arbeiten 40.000 Lehrer und Schulangestellte weniger als vor den Sommerferien. Hilfen für die Schulspeisung von Kindern armer Familien gibt es nicht mehr. Die Pflegezuschüsse für Behinderte wurden gekürzt, die Mehrwertsteuer und Strompreise erhöht. Der Kündigungsschutz ist nach einer Reform praktisch inexistent. Die Liste ließe sich lange fortsetzen.

„Eine soziale Katastrophe“ ist das auch für Fabian Veloz aus Valencia. Der 39-jährige Telefoninstallateur aus Ecuador hat noch Arbeit. „Aber die Telefongesellschaft hat uns ausgelagert. Früher verdienten wir bis zu 1.800 Euro, heute liegt der Einstiegslohn bei 950 Euro“, sagt er.