berliner szenen: Mit der M10 Richtung Demo
Die M10 ist rappelvoll. Herumcliquende Jugendliche kichern und schubsen sich, zwei Mädchen mit einem Plakat laufen zum Fahrkartenautomaten, vier Jungs überlegen, wer wohl heute in die Schule geht. „Elmar“, vermutet einer. „Aber sonst niemand.“
Es ist Freitag, a Friday for Future. Eine weißhaarige Frau beginnt ein Gespräch, die Jungs lachen höflich. „Ich bin 90 Jahre alt, ein bisschen Spaß hilft.“ „90, nicht schlecht. Und wie alt haben Sie vor, zu werden?“ „Weiß man’s. Aber ick hab ’ne große Familie, neun Urenkel, das hält jung.“
Kurz vor dem Naturkundemuseum eine Durchsage: Wegen einer Demonstration ist die Linie zwischen Nordbahnhof und Hauptbahnhof unterbrochen. Die Schüler werden unruhig, einer fragt: „Wo ist denn jetzt das Naturkundemuseum?“. Eine wettergegerbte Frau in Funktionsjacke sagt: „Wenn ihr zur Demo wollt, kann ich euch den Weg zeigen.“ Allgemeines Aufatmen.
Plötzlich mischt sich eine ältere Frau mit scharf gezeichneten Augenbrauen ein, die auf dem Platz direkt neben der Tür thront. „Zur Demo, ja, ja …“, sagt sie. „Da ruft eine aus Schweden, und alle machen mit! Wie damals, aber da war es ein Österreicher.“
Die Schüler werden still, die Funktionsjackenfrau wird dafür umso lauter. „Das können Sie doch nicht vergleichen“, ruft sie, „wenn hier die Schüler fürs Klima auf die Straße gehen! Das ist doch was Gutes!“ „Sie wollen das ja nur nicht hören“, sagt die mit den scharf gezeichneten Augenbrauen, „aber ich habe schon Enkel – ich weiß, sieht man mir nicht an –, und denen geht es gut, trotz des Klimas.“
Später, während oben auf der Straße zur Demo das Leben tobt, steht die Frau mit den Augenbrauen alleine auf dem Bahnsteig und wartet auf die U8.
Franziska Seyboldt
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