Nils Schuhmacher Hamburger Soundtrack: Fische im Meer der Rätsel
Jede und jeder kennt das: Man sitzt in einem Café oder der 1. Klasse herum, es kommt jemand herein und man hält die Person – es gibt keinen Zweifel – für irgendeinen Künstler. Man weiß nur gerade nicht, ob man ihn unlängst im Kino oder einem Musikvideo sah. Und während man noch rätselt (und sich natürlich geirrt hat), gehen Phil Collins und Helene Fischer unbeachtet vorbei.
Wir „lernen“ daraus zweierlei: Erstens ist nicht alles Gold, was glänzt, und es macht die Hülle aus Schnurrbart, Sonnenbrille, Hochwasserhose und Instagram-Account noch keinen Inhalt. Aber das wussten wir als scharfe Beobachter der Alltagswelt bereits. Zweitens gehört es offenbar zum Wesen des Künstlers, sich zu tarnen, kurz genial aufzublitzen, um dann wie ein glatter Fisch wieder ins Meer der Rätsel zu entkommen, vor dem das Publikum notorisch steht.
So wie Stewart Copeland (20. 3., Elbphilharmonie) eben. Alle wissen, dass er, noch vor Phill Collins, einer der besten Schlagzeuger des Rock überhaupt ist. Zurecht wird er für seine komplexe und filigrane Spielweise gelobt. Aber den Armeen etwas weniger begabter Drummer, die sich seit Generationen daran abmühen, „Message in the bottle“ nachzutrommeln, hielt er lange Zeit die Information vor, dass selbst einer wie er Overdubs benötigte. Jetzt ist das mal raus.
Oder Herbert Grönemeyer (24./25. 3., Barcley Card Arena). Da sollen Oberschlaue weiter überheblich lachen über diese Musik gewordene Sozialdemokratie. Im Gegensatz zu der entkernten Partei präsentiert sich der Mann allerdings weder bieder noch unlebendig. Und er hat mit „Doppelherz / İki Gönlüm“ unlängst einen der intelligenteren Beiträge zum aktuellen politischen Geschehen in unserer sogenannten Post-Migrationsgesellschaft vorgelegt.
Zum Schluss dann aber doch auch noch mal ein Beispiel, wie man Illusion und Realität auf annehmbare Weise zusammenfügt: Sugar Candy Mountain (19. 3., Hafenklang) führen einen nicht in die Irre, sondern heißen exakt so, wie sie klingen. Dem etwas verspulten Namen der kalifornischen „psychedelischen Wohlfahrtsorganisation“, so das Internet-Portal „Pop Frontal“, entspricht die Mixtur aus Hippietum, Sixties, ausgeleierten Beach Boys und nachlässig angezogenen Byrds. Werden mit Sicherheit in jedem Café für Stars gehalten – die sie allerdings (noch) nicht sind.
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