„Ich empfinde keinen Hass“

Überlebende Zeugin Jehovas spricht über Nazizeit

■ 86, wurde 1943 ins KZ Stutthof deportiert. Sie überlebte dessen Räumung und schrieb 2001 ein Buch über ihre Erfahrungen.

taz: Frau Schmidt, in welcher Situation wurden Sie 1943 von der Gestapo der Nazis verhaftet?

Hermine Schmidt: Ich war damals 17 und wohnte bei meinen Eltern in Danzig. Ich und ein Kurier, den die Nazis suchten, saßen zu Pfingsten in meinem Zimmer und studierten die Bibel.

Was passierte?

Sechs, sieben Männer stürmten die Wohnung. Der Kurier wurde schwer geschlagen, bevor sie uns alle zur Gestapo fuhren. Ich kam in Untersuchungshaft und später ins KZ Stutthof.

Haben Sie je erwogen, Ihrem Glauben abzuschwören, um sich zu retten?

Nein. Auch meine Eltern waren Zeugen Jehovas, und ich habe schon als Kind den Hitlergruß verweigert. Denn das Heil kann nach unserer Überzeugung nur von Gott kommen und nicht von einem Menschen.

Gab es eine Extremsituation?

Ja. Als ich partout keine Namen von Glaubensgenossen preisgeben wollte, hat mich der Untersuchungsrichter gefragt, ob ich für den Glauben mein Leben lassen würde. Er hat dabei die entsicherte Pistole auf mich gerichtet. Ich habe tief Luft geholt und gesagt: „Wenn es sein muss – ja.“

Woher nahmen Sie den Mut?

Ich kann es mir nur mit meinem Glauben erklären. Es war so – und das hat mich selbst überrascht –, dass in dieser lebensbedrohlichen Situation plötzlich eine große Ruhe und Zufriedenheit über mich kam. Und danach war ich sehr glücklich, weil ich diese Prüfung bestanden und nichts verraten hatte.

Haben Sie den Tätern inzwischen verziehen?

Ich habe nie Hass empfunden. Und ich denke, das waren durch ihre Ideologie fehlgeleitete Menschen.  INTERVIEW: PS

Detlef Garbe, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, spricht mit Hermine Schmidt: 16-18Uhr, Museum für Hamburgische Geschichte