Was nicht zu beweisen war

PROZESS „Voll-Nazi“ gegen „Halb-Türke“: Weil auch ein Prozess nicht aufklären konnte, warum die beiden in der Kneipe in Streit gerieten, kommt ein 28-Jähriger nochmals mit einer Bewährungsstrafe davon

Zu Hause sammelte S. NS-Devotionalien, auf seiner Haut allerlei rechte Tattoos

Er hätte Herrn S. ja am liebsten weggesperrt, sagt Richter Helmut Kellermann zu Beginn seines Urteils. Nicht gleich für immer, aber jedenfalls so lange wie möglich. Weil er ein „Voll-Nazi“ sei. Aber das allein ist eben nicht strafbar – und so verlässt der 28-Jährige das Landgericht als freier Mann. Zwei Jahre auf Bewährung hat er gestern bekommen, wegen gefährlicher Körperverletzung, dazu die Auflage, dass er in der Öffentlichkeit vier Jahre lang keinen Alkohol mehr trinken darf. Nicht einmal bei sich zu Hause darf er jetzt mehr „im Übermaß“ saufen.

Angeklagt war er wegen versuchten Totschlags – er soll im März den 24-jährigen, damals ebenfalls stark betrunkenen Serdar „Dennis“ H. in der Kneipe „Klause 38“ am Herdentorsteinweg eine abgebrochene Bierflasche in den Hals gestochen haben. Warum, das ist auch nach Ende des Prozesses unklar. Kellermann spricht von einer „Wirtshausschlägerei“ – Beweise dafür, dass die rechte Gesinnung des Angeklagten das Tatmotiv war, gibt es jedenfalls keine, auch wenn H. ein „Halbtürke“ ist, wie Kellermann sagt. Einer von 25 Zeugen hatte bei der Polizei seinerzeit zwar zu Protokoll gegeben, Sascha S. habe bei dem Streit rechte Parolen skandiert – vor Gericht mochte er das aber nicht mehr bezeugen. Und andere haben sie nach eigenem Bekunden nicht gehört.

Die Staatsanwaltschaft hatte zwei Jahre und neun Monate Haft gefordert. Die Verteidigung hingegen sieht in S. das Opfer und H. als den Ersttäter an – also forderte sie einen Freispruch. Und was dem Staatsanwalt am Ende als gefährliche Körperverletzung galt, sieht die Verteidigung als zulässige, angemessene Notwehr an. Und durch den Prozess und die Presseberichte, sagt Anwalt Tema Hoch, wisse nun die Dorfgemeinschaft, in der Sascha S. mit seiner Verlobten und ihrem Kind inzwischen lebt, von seiner rechtsextremen Einstellung.

Vor Gericht blitzte nur eine seiner Tätowierungen unter dem stets weißen Hemdkragen und dem schwarzen Sakko hervor – sie verweist auf das rechte Netzwerk „Blood & Honour“, das Kameradschaftskader mit Rechtsrockern verbindet. Dem Vernehmen nach hat er sich aber auch SS-Runen, den Schriftzug „white power“, ein Zeichen des Ku-Klux-Klans und diverse andere rechte Symbole in die Haut stechen lassen. Seine Freunde beschrieben ihn bei Gericht als „patriotisch“. Und in seinem Auto wurde neben einem Baseballschläger auch ein Aufkleber der rechten Hooligangruppierung „Standarte 88“ gefunden. Zu Hause, da sammelte er NS-Devotionalien, ein Bild von SS-Reichsführer Heinrich Himmler fand sich neben diversen Orden aus der Nazi-Zeit, und Waffen. Kellermann sprach gar von einem kleinen „Privatmuseum“.

Wegen Körperverletzung wurde S. seit 2005 zwar schon zweifach verurteilt, seine Gesinnung spielte aber auch da wohl keine Rolle. Als Mitglied rechter Gruppierungen oder Kundgebungen ist er aber auch Antifa-Kreisen bisher nicht aufgefallen. Ein Gutachter beschrieb ihn vor Gericht als „sehr selbstunsicher“, doch seine Sozialprognose bei Gericht fällt günstig aus. Das Urteil nahm er ohne äußerliche Regung hin.

In seinem Schlusswort hatte er Reue gezeigt, Besserung beim Alkoholkonsum gelobt. Und über seine politische Einstellung geschwiegen. JAN ZIER