Psychisch krank in der Zelle?

JUSTIZ Die JVA Tegel soll den „Briefkastenbomber“ Peter J. mit unzulässigen Methoden gemaßregelt haben.

„Peter J. funktioniert anders als der Durchschnitt“

SOPHIE J., SCHWESTER DES HÄFTLINGS

VON BENNO KIRSCH

Haben Beamte der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel einen Gefangenen buchstäblich bei Wasser und Brot isoliert? Und handelt es sich bei dem Mann in Wirklichkeit um einen psychisch Kranken, der aufgrund einer Fehleinschätzung in den normalen Strafvollzug geraten ist? Das behauptet die Gefangenenzeitung Lichtblick über den inhaftierten Peter J., der vor einigen Jahren als „Briefkastenbomber“ bekannt wurde.

Die Tat, für die J. eine lebenslange Haftstrafe abbüßt, ging durch alle Medien: Ende 2008 platzierte er ein Päckchen mit Sprengstoff im Briefkasten seiner Stiefschwester. Es explodierte in den Händen seiner 12-jährigen Nichte und verletzte sie lebensgefährlich. Die Ärzte konnten das Mädchen nur knapp vor einer Armamputation bewahren. Mit der Attacke, die eigentlich auf die Stiefschwester zielte, wollte J. sich rächen: Er glaubte, dass sie und ihr Mann hinter einem Einbruch in seine Wohnung steckten, bei dem Handelsware im Wert von 20.000 Euro gestohlen worden war. Im Januar 2010 verurteilte das Landgericht J. wegen versuchten Mordes.

Laut der Gefangenenzeitung Lichtblick wurde J. bereits Ende Juli nach einer Rangelei mit Aufsehern in einer Einzelzelle isoliert und die Verpflegung auf Käsebrot und Tee reduziert – eine Vorgehensweise, die die Redakteure als „Folter“ bezeichnen. Erst nachdem die Öffentlichkeit informiert worden sei, habe Peter J. wieder die normale Verpflegung erhalten.

„Ausgewogene Nahrung“

Die Justizverwaltung widerspricht dieser Darstellung: J. sei am 27. Juli nach einem Aufenthalt im Haftkrankenhaus in die JVA zurückgekehrt und dabei so aggressiv geworden, dass man ihn für gut drei Stunden in einem besonders gesicherten Haftraum fixiert habe. Nach ärztlicher Begutachtung sei er erneut ins Krankenhaus eingeliefert und am 31. Juli in die Sicherungsstation der JVA verlegt worden, auf die sich der Lichtblick bezieht. Dort befinde er sich noch heute. J. habe immer ausreichend und ausgewogene Nahrung erhalten, anfangs allerdings ohne Besteck, weil man Fremd- und Selbstgefährdung nicht habe ausschließen können. Der SPD-Abgeordnete und Rechtspolitiker Erol Özkaraca, der sich mit dem Fall befasst hat, kam zu dem Schluss, Übergriffe durch das JVA-Personal nicht seien nicht belegt und Ermessensfehler bei der Auswahl der Mittel ließen sich nicht feststellen.

„Schwerer wiegt wohl der Vorwurf, den Peter J.s leibliche Schwester an die Justiz richtet: Anscheinend könne die JVA Tegel auf seine besondere Situation nicht adäquat eingehen. Dass sein Verhalten das Personal der Haftanstalt überfordere, sei für Peter J. keine neue Erfahrung. Als Kind sei er in einer Pflegefamilie aufgewachsen - auch dann noch, als das Jugendamt erfahren habe, dass die Familie mit vier Adoptiv- und Pflegekindern überfordert gewesen sei. Später habe ihn die Bundeswehr wegen Auffälligkeiten aus der Wehrpflicht entlassen. Auch der Berliner Jugendvollzug habe bereits Erfahrungen mit dem renitenten Gefangenen gemacht. „Dass Peter J. anders funktioniert als der Durchschnitt, ist seit Jahrzehnten aktenkundig“, sagt Sophie J.“

Peter J. selbst hielt sich für voll schuldfähig: „Das ist keine Krankheit, ich habe vielleicht nur einen anderen Blick“, erklärte er seinerzeit vor Gericht. Eine Einschätzung, die der psychiatrische Gutachter offenbar übernahm. Dabei hatte Hans-Ludwig Kröber dem Angeklagten im Prozess durchaus psychische Auffälligkeiten attestiert. Auch anderen Beobachtern war aufgefallen, dass mit J. ein Mensch vor Gericht stand, der in einer eigenen Welt zu leben schien, sich nicht konzentrieren konnte, unmotivierte Gefühlsregungen zeigte. Dennoch plädierte Kröber nicht für die Unterbringung in der forensischen Psychiatrie. Eine aktuelle Anfrage ließ er unbeantwortet.

Die Chancen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens dürften gering sein: Als Voraussetzung für die Schuldfähigkeit eines Angeklagten gilt seine Einsicht in die Unrechtmäßigkeit des eigenen Handelns – und die war bei J. offenkundig gegeben: Er hatte seine Stiefschwester und ihren Mann erklärtermaßen bestrafen wollen. Offen bleibt die Frage, ob der gewöhnliche Strafvollzug mit jemandem überfordert ist, dessen Tat auf eine paranoide Vorstellungswelt hinweist.