: Lame of Thrones
Ermüdender Machtkampf: Für das Stadttheater Wilhelmshaven hat der flämische Dramatiker Peter Verhelst Shakespeares Drama „Richard III.“ überschrieben. Aber statt aktuelle antidemokratische Impulse zu verhandeln, verliert sich der Abend in Theater-Stilübungen
Von Jens Fischer
Unschuld ist immer ein bisschen öde, in ihrer Kargheit funktioniert sie aber prima als Kontrastmittel fürs Gegenteil. Deswegen ist die Wilhelmshavener Stadttheaterbühne für das Finale dieser bereits 30 Jahre tobenden Rosenkriege vor allem unschuldig – nämlich leer und nur grob markiert durch unbefleckt weiß bepinselte Bretter. Weiß ausgelegt ist auch der Boden, in strahlendem bis vergilbtem Weiß gehalten sind die Kostüme, passend dazu wird in Gläsern eiweiße Milch serviert. Und einige Morde später kommt die Nichtfarbe Schwarz hinzu.
Gegeben wird als deutschsprachige Erstaufführung eine „Überschreibung“ von Shakespeares Erzbösewichtdrama durch Peter Verhelst: „Richard III. – bin durch Sümpfe gewatet, menschliche oder nicht.“ Der flämische Dichter verzichtet auf eine grundsätzliche Verteufelung Richards – der Duke of Gloucester aus der jahrhundertelang regierenden Dynastie Plantagenet –, gibt den Frauenfiguren deutlich mehr Text als sein elisabethanischer Vorgänger. Und er sucht mal in Versen, mal in poetisch fabulierter Prosa nach Motivationen, warum das Personal lieber in Blut statt unschuldigem Quellwasser badet.
Abschaffung des Parlaments
Viel geredet wird also in Sascha Bunges Inszenierung. Und auch, was alles auf den Kriegsschauplätzen neben und hinter der Bühne sowie in den Kerkern darunter passiert, kommt nur nach Art der Botenberichte zu Gehör.
Im zeitlos sterilen Bühnengeviert soll etwas Grundsätzliches dargestellt werden: Es geht um antidemokratische Impulse der menschlichen Natur, um eine Inszenierung „als Studie über die Abschaffung des Parlamentes“, so Bunge. Ein nicht nur historisches, beispielsweise aufs Deutschland der 1930er-Jahre verweisendes, sondern auch aktuelles Problem. Etwa in Ländern mit egozentrischen Rechtspopulisten als Präsidenten und Sehnsüchten nach starken Männern, die so Sätze sagen wie Verhelsts Richard: „Nur wer etwas Bess‘res aufbauen kann, darf zerstören!“
Machtgeile Gecken
Er hat dafür so seine Pläne und ein nicht unbekanntes Konzept: „Manchmal ist es besser, das Volk vor vollendete Tatsachen zu stellen. Es ist sicherer, es bloß nicken zu lassen, als es durcheinanderzubringen.“ Hinter vorgehaltener Hand gibt Richard aber auch den Existenzialisten und verkündet, was über den Wolken zu sehen ist: „Die Flugzeugformation des großen Nichts“.
Aber erst mal geht’s auf die Suche nach etwas Handfestem: den Quellen des Bösen. Als glamourös erotischer Superschurke ist Richard durch Shakespeares Drama bekannt, ein Freak, der seine Ausgrenzung durch die Gesellschaft mit ihrer Zerstörung beantwortet. Verhelsts Textcollage setzt auf eine andere Erklärung. Bei ihm ist Richard kein physischer, sondern ein psychischer Krüppel.
Das Stück beginnt mit einem Monolog der Mutter Richards – sie behauptet wie Macbeth, nicht mehr schlafen zu können. Übergroße Schuldgefühle plagen sie. Per Kaiserschnitt, einer nie verheilenden Wunde, sei Richard geboren worden. „Es war ein Baby mit voll ausgewachsenen Zähnen … es sieht mich an, ganz kurz, und schaut durch mich hindurch … eine Ahnung von dem, was ihn, was uns verschlingen wird.“ Ebenso traumatisierend für beide: Die Mutter konnte den Sohn nicht stillen und hat ihn aus Scham nicht einmal gestreichelt.
So sehnt sich Richard, der Unberührte, den ganzen Abend über nach Körperkontakt und benutzt das Wort Liebe dafür. Da es damit nicht klappt, leitet er diese Sehnsuchtsenergie klassisch um, will dann eben König werden, seinen Selbsthass gegen die ganze Welt ausleben und wenigstens von Aufmerksamkeit berührt werden. Klingt alles nach Psychoanalyse für Anfänger. Aber Stefan Faupels muss mit dieser Diagnose den Protagonisten gestalten – gibt ihn zeitgenössisch mit heimtückischem Kalkül wie einen eiskalten Politprofi.
Einige bei Shakespeare auftauchende Gegner haben sich auch in dieses Stück gerettet – als zumeist eitle Gecken. In ihrer Machtgeilheit aber sind sie Richard nicht unähnlich – nur dass der einfach besser, nämlich rücksichtsloser ist. Seine Auftritte sind die eines Chefs. Er zieht die weißen Handschuhe fürs schmutzige Geschäft aus, schaut sich amüsiert um und scheint überall nur formbares Menschenmaterial zu erkennen. Und folgt seinem zerstörerischen Trieb lächelnd.
Die Taten selbst lässt er den Diener Treue (Timon Ballenberger) ausführen. Ihm verspricht er wie allen anderen Unterstützern neben Ländereien den Erhalt der nationalen Sicherheit. Währenddessen, so wird berichtet, schweigt das Volk. Aus Ungläubigkeit, Angst, Gleichgültigkeit oder Verzauberung? Hätte vielleicht auch gar kein Interesse an Volksvertretern, die in einem Parlament die Regierenden kontrollieren.
Gerade weil Richard sich als visionärer Heros inszeniert, der wider die Kriegsrealität vor der Haustür die schöne Zukunft preist, den „Anfang einer neuen Welt, die neue, aufgehende Sonne“. Mit ihm werde England ein Ort „frei von Gift und Ungeziefer“. Sascha Bunge lässt zu dieser Erlöser-Show immer mal wieder „Power of Love“ von Frankie Goes to Hollywood einspielen.
Bis Richard animiert genug ist, sich an die cool kokette Kahlköpfin Anne (Jördis Wölk) heranzuschmeißen. Seelenlos haucht er eine betont blumige Anmache ins Mikrofon. Und geht aufs Ganze, gibt ihr seine geladene Pistole. Aber der Rachereiz, nun den Killer ihres Gatten zu töten, ist bei Anne kleiner als die Faszination für diesen Mann. So steckt sie ihm nicht den Pistolenlauf, sondern ihren Finger zum lüsternen Belecken in den Mund. Richard und Anne, Eisprinz- und -prinzessin, singen dann im Duett das Lord-Byron-Poem „My Soul Is Dark“. Aber schnell ist Anne auch wieder fort und Richard sitzt auf dem Thron – den er höchst infantil betobt.
Ermüdendes Getue
Schon beginnt seine Selbstzerstörung, während die Zerstörung eines zeitlosen Machtspiels dank der Regie längst in vollem Gange ist. Mal lässt sie das Ensemble im Chor durcheinanderplappern, mal Shakespeares auf Englisch zitieren, mal Lieder zum Besten geben oder das Bühnenbild in einer brachial selbstironischen Comedynummer verulken.
Die versprochene politische Dimension verliert sich in Stilübungen distanzierender Theatermittel. Endloses Getue statt auslotendem Spiel. Ermüdend. Dabei war doch Wachrütteln für die parlamentarische Demokratie angesagt angesichts des aufhaltsamen Aufstiegs eines monströsen Autokraten.
Sa, 6. 4., 20 Uhr, Stadttheater Wilhelmshaven
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