„Fantasie auf Trab halten“

Erzählerin Jana Raile liest im Dunkeln

■ 43, Erzählerin aus Neustadt (Holstein), hat vor 23 Jahren das erste Mal einem Märchenerzähler gelauscht.

taz: Frau Raile, Sie lesen heute Grimms Märchen im Dunkeln vor. Haben Sie keine Angst, dass Ihre Zuhörer einschlafen?

Jana Raile: Das wäre zwar nicht der gewollte Effekt, aber ja irgendwie auch ein Lob für meine Erzählkunst. Und im Unterbewusstsein bleibt garantiert was von den Geschichten hängen. Generell hoffe ich aber, dass ich mit den Märchen eher wach als schläfrig mache.

Wie stellen Sie das an?

Ich halte die Fantasie auf Trab. Ich erzähle zwar eine Geschichte, aber die Zuhörer erschaffen dazu ihre eigene Welt. Unter einem „großen, dunklen Wald“ stellt sich schließlich jeder was anderes vor.

Ein solcher Wald kann ganz schön bedrohlich sein. Lesen Sie im Dunkeln vor, damit die Zuhörer sich gruseln?

Die Sache mit der Dunkelheit hat einen anderen Hintergrund. Wenn alle anderen Sinneseindrücke weg sind, kann man sich vollkommen auf die Stimme und den Klang konzentrieren. Die Fantasie läuft dann zur Höchstform auf.

Und was ist mit Ihnen? Ablesen könne Sie bei fehlender Beleuchtung ja nicht mehr …

Das ist kein Problem. Wenn ich erzähle, mache ich das eh aus dem Kopf heraus: Vor meinem inneren Auge läuft ein Film ab und ich beschreibe, was ich sehe. Dabei probiere ich, so nah wie möglich am Originaltext zu bleiben. Aber zu 100 Prozent klappt das natürlich nicht.

Wo Sie sich so viel mit den Geschichten auseinandergesetzt haben: Was ist Ihr Liebling unter den Grimmschen Märchen?

Eindeutig Schneewittchen! Mich fasziniert die böse Stiefmutter und wie naiv und unschuldig Schneewittchen ihr trotz allem entgegentritt. INTERVIEW: KOL

Grimms Märchen, erzählt von Jana Raile: 19.30 Uhr, Dialog im Dunkeln, Alter Wandrahm 4