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Behandelt wie Vieh

„Die Deutschen müssen bei Laune gehalten werden“, taz vom 16./17. 2. 19

In Stuttgart gibt es im Repertoire der TriBühne ein Stück auf Basis desselben Stoffs von Kafka/Coe­tzee. Es läuft ganz im Sinn der beiden darauf hinaus, die Würde der Tiere zu respektieren. In Oliver Frljic’ Stück werden die beiden für das Gegenteil benutzt, wenn die Rezensentin recht hat. Sie lobt ihn genau dafür. Die Inszenierung läuft auf folgende altbackene Denk- und Redefiguren hinaus: „Sex, Gewalt und Macht“ beruhen auf dem Animalischen im Menschen; unter der „bürgerlichen Fassade“ lauert „der Bananen fressende Affe“ und „der mordende Tiger“. Wäre das Animalische endlich besiegt, lebten wir im Paradies. Armer Kafka.

Dann die Rede vom Vieh: Immerhin ist es eine der ausnahmsweise ehrlichen Redewendungen mit Tierbezug in vielen menschlichen Sprachen, dass eine besonders schlimme Behandlung durch Menschen damit bezeichnet wird, dass sie „wie Vieh“ behandelt worden seien. Beim „Vieh“ geht das, aber bei Menschen? Der Autorin fällt das übrigens nicht auf. Sie dreht das sogar noch um: Die Nazis und ihre vielen Gefolgsleute seien „zu Vieh geworden“.

Dazu fällt der Rezensentin dann ein, dass die Massentierhaltung mehr Leute empört als das Massensterben im Mittelmeer. Keine Ahnung, woher sie das hat. Ich sehe viel mehr Leute als Flüchtigenhelfer arbeiten im Vergleich zu den wenigen, die beharrlich das Elend der Tiere aufdecken und anklagen.

Die taz beschäftigt sich so viel mit verschiedensten Diskriminierungen. Speziezismus hat sie leider noch nicht auf dem Radar.

Wolfram Schlenker, Stuttgart

Abrisswut

Denk-Mal, Berlin!

Der in Berlin scheinbar routinemäßig praktizierte Abriss von bedeutenden Baudenkmalen, wie der Deutschlandhalle, des Schimmelpfeng-Hauses, des Ahornblatts und aktuell der Ku’damm-Bühnen, ist zutiefst beunruhigend. Bauten wie diese, die bereits auf der Denkmalliste stehen oder längst stehen sollten, werden trotz ihres bau- und kulturhistorischen Werts dem Abrissbagger und dem vermeintlichen Immobiliendruck geopfert. Im Falle der beiden Ku’damm-Bühnen hätte ein Kompromiss gefunden werden können, um wenigstens eines der einzigartigen Baudenkmale in den Neubau zu integrieren und somit für die Nachwelt zu erhalten. Sie gehörten zu den sehr wenigen baulichen Zeugnissen dieser Glanzzeit am Kurfürstendamm, der Theatertradition von Max Reinhardt in den „Goldenen Zwanzigern“. Sogar die Abrisswut in den 1970er-Jahren hatten die Bühnen überlebt.

Gerade in Berlin, einer jungen Stadt mit vergleichsweise kurzer Geschichte und einer gebeutelten Stadt, die so viele bauliche Verluste erlitten hat, ist es dringend erforderlich, die Interessen von großen Investoren zu bändigen und gemeinsam nachhaltige, geschichtsbewusste Lösungen zu entwickeln: das Zusammendenken von Stadtentwicklung und Denkmalschutz als Bereicherung, nicht als Gegenmodell.

Sicher: Berlin ist, mehr als viele andere, eine Stadt im Wandel und der Brüche. Das war schon im 19. Jahrhundert so, als die Stadt – manchmal durchaus brachial – versuchte, ihr provinzielles bauliches Gesicht gegen das einer Weltstadt zu tauschen. Vermutlich macht diese stetige Erneuerung den Charakter – und möglicherweise sogar den Charme – der Stadt aus. Doch braucht sie die baulichen Zeugen nicht zuletzt dafür, um sich heute und künftig ihrer komplexen Zeitschichten erinnern zu können?

Städten wie Regensburg und natürlich Amsterdam, Paris oder Rom gelingt es, ihren Baubestand großflächig und sensibel zu erhalten, ohne sich modernen Entwicklungen zu verwehren. Und die Besucher kommen in Scharen, um genau diese erhaltene identitätsstiftende Architektur und Baukultur zu erleben.

Berlin hingegen scheint unentschlossen, ob und wie es sein geschichtsträchtiges Stadtbild pflegen soll. Auf der einen Seite wird Historisches geopfert, auf der anderen werden, der Maßgabe des ehemaligen Senatsbaudirektors Stimmann folgend, vielerorts Raumkanten „kritisch rekonstruiert“ und geschlossen, um alte Plätze und Fluchten wieder erlebbar zu machen. Historische Gebäude werden rekonstruiert, wie die Parochialkirche, oder gar mit viel Aufwand komplett wiederaufgebaut, wie das Stadtschloss und die Bauakademie. Warum diese Rekonstruktionswelle? Seit 1990 ist sehr viel austauschbares Mittelmaß und nur wenig Markantes entstanden, denke man an die einfallslose Europacity am Hauptbahnhof oder die weitgehend eintönigen Neubauten um die Mercedes-Benz-Arena. Der jüngste Trend zum Bau von Hochhäusern wirkt wie ein verzweifelter Versuch, Orte der Einmaligkeit und Urbanität zu schaffen.

Sicherlich ist Denkmalschutz keine leichte Aufgabe – ständig muss zwischen dem historischen Wert der Bauten und wirtschaftlichen Zwängen abgewogen werden. Immer wieder gilt es, Geschichtsträchtiges mit neuem Leben zu füllen und so zu erhalten. Stetig muss die Denkmalliste um neue Generationen von Gebäuden erweitert werden, wie jetzt im Fall der Abhörstation auf dem Teufelsberg. Einige aktuelle Lösungen, wie die Initiativen zum Erhalt und zur Nachnutzung der Kant-Garagen oder der Teilerhalt der Holtzendorff-Garage, machen Hoffnung, dass die ästhetischen, architektonischen und baugeschichtlichen Qualitäten von Denkmalen als Mehrwert gesehen werden, die es zukunftsfähig zu machen gilt. Ferner bleibt zu hoffen, dass mit dem neuen Landeskonservator Rauhut eine neue Denkmalkultur beginnt – gekennzeichnet von Mut für innovative Ansätze und einem schützenden (Weit-)Blick auf Berlins außerordentliche Denkmale. Jan Schultheiß, Berlin

„Nur Einzelfälle“

„Berliner Obdachlosenprotest. Die Verletzung des Privaten“, taz vom 25. 1. 2019

Bevor man spitzfindig auf die Suche geht, in welcher Form Grundrechte verletzt werden, wenn Obdachlosencamps geräumt werden, gilt es mal festzuhalten, dass Grundrechte verletzt werden, wenn Menschen aus ihren Wohnungen geräumt werden oder ihnen in Wohnungsnotlagen, wenn sie in ihren Wohnungen Gewalt ausgesetzt sind, nicht geholfen wird und sie damit erst zu Obdachlosen gemacht werden. Der spitzfindige Bürger übernimmt dann gern den veröffentlichten Zynismus des Zählens von Kältetoten und lügt sich in die Tasche: „Sind doch nur Einzelfälle, lässt sich nicht vermeiden“, nachdem das eigene Immobilienportfolio sorgsam arrondiert wurde – schließlich übernimmt man Verantwortung und sorgt fürs eigene Alter vor. Margit Englert, Berlin