Ohne Vater in ein fremdes Land

Bezirksamt trennt türkische Familie: Weil die Mutter als Erwerbslose von Arbeitslosengeld II lebt, soll ihr und ihren in Hamburg geborenen Kindern nachträglich die Aufenthaltserlaubnis entzogen werden. Seit 20 Jahren ansässiger Vater darf hier bleiben

von Eva Weikert

Als Nilgün S. kürzlich Post vom Bezirksamt Wandsbek bekam, ahnte sie nichts Böses. Seit 14 Jahren lebt die 33-jährige Türkin in Hamburg, ihr Mann kam vor mehr als 20 Jahren hierher, ihre beiden Kinder sind in der Stadt geboren. Alle vier fühlen sich als Hamburger. Doch das Amt sieht das anders: „Für den Fall, dass Sie nicht bis zum 30. September ausgereist sind, wird ihnen hiermit die Abschiebung angedroht“, heißt es in dem Brief, die Aufenthaltserlaubnisse von Sohn und Tochter würden „nachträglich“ verkürzt. Auch Enes und Esra müssten jetzt ausreisen, ihr kranker Mann indes bleibt unbehelligt. Anwalt Mahmut Erdem sagt: „Hier wird absichtlich eine Familie auseinander gerissen.“

Nilgün S. soll abgeschoben werden, weil sie kein Geld verdient. 2001 verlor ihr Mann Erol seinen Job, die Familie lebt jetzt von Arbeitslosengeld II und einem Mietzuschuss der Stadt. Laut Erdem gilt der Vater wegen einer psychischen Erkrankung als arbeitsunfähig. Erol S. selbst müsse akut keine Ausweisung fürchten, weil er in Therapie sei und einen unbefristeten Aufenthaltstitel habe. „Die Behörde kalkuliert aber“, glaubt Erdem, „dass er Frau und Kindern folgt.“

Frau S. habe seit ihrer Ankunft in Deutschland „in keinem einzigen Fall die Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses dargelegt“, begründet das Bezirksamt seine Ausreiseaufforderung: „Von einer erfolgreichen wirtschaftlichen Integration kann daher nicht ausgegangen werden.“ Damit sei gemäß Aufenthaltsgesetz die Voraussetzung für die Erteilung des festen Titels – die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Antragssteller selbst – nicht erfüllt. Als ALG-II-Bezieherin aber „bestehen an Ihrer Erwerbsfähigkeit keine Zweifel“, belehrt das Amt die Migrantin.

Nilgül S. hat gar keine Aussicht auf einen Job, weil sie nie einen Beruf erlernt hat. Sie ist Hausfrau, nachdem sie 1991 ihrem Mann nach Hamburg gefolgt war. Regelmäßig wurde ihre befristete Aufenthaltserlaubnis verlängert. Ihre 1995 geborene Tochter Esra bekam eine Zusage bis 2011, der achtjährige Enes bis 2013. Aus Amtssicht hängt der Aufenthalt der Kinder von der Mutter ab. Darum beschnitt es die Frist jetzt nachträglich. Seit einer Woche ist das Aufenthaltsrecht der beiden Schüler abgelaufen. Esra ist kurz vor dem Stichtag in die fünfte, ihr Bruder in die zweite Klasse gekommen.

Anwalt Erdem warnt, Familie S. sei kein Einzelfall. Der frühere GAL-Abgeordnete erhebt den Vorwurf, der CDU-Senat betreibe unter Berufung auf das Aufenthaltsgesetz seit kurzem „systematisch“ die Abschiebung von hilfebedürftigen Migranten, „um den städtischen Haushalt zu entlasten“. Betroffen seien Zuwanderer der zweiten und dritten Generation, deren Eltern und die selbst in die Sozialkassen eingezahlt hätten. Zum Beleg verweist Erdem auf weitere Fälle.

Auch dem früheren Hafenarbeiter Mechmed Ö. (45) aus Altona, der vor 28 Jahren aus der Türkei hierher kam, sei jetzt der feste Aufenthaltstitel entzogen worden mit der Begründung, als Arbeitsloser könne er für seinen Lebensunterhalt nicht selbst aufkommen. Eine Aufforderung zur Ausreise erhielten ebenso die 1993 übergesiedelte Türkin Ayse Y. und ihre hier geborenen neun und elf Jahre alten Söhne vom Bezirksamt Mitte. Seit der Vater 1998 bei einem Autounfall umkam, sei die Ungelernte auf Stütze angewiesen, so Erdem. Die Aufenthaltserlaubnis werde nicht verlängert, schrieb das Amt der Alleinerziehenden, „weil Sie Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV, d. Red.) beziehen.“

Erdem kündigt an, er werde in allen drei Fällen „sämtliche rechtlichen Mittel ausschöpfen“.