berliner szenen: Wir müssen Amsterdam machen
Sind sie oft Gästin hier?“, fragt der circa 16-Jährige am Nachbartisch eines dunklen, verrauchten Cafés am Mehringdamm, als ich ihn bitte, ein Stück zu rücken, damit ich das Ladekabel meines Laptops hinter ihm einstecken kann. Ich erwidere: „Oft genug, um zu wissen, wo die Steckdose ist“, und denke zeitgleich darüber nach, ob das Gendern nach dem Einzug in den Hannoveraner Landtag nun auch bei diesen Kreuzberger Jungs angekommen ist. Dann merke ich, dass die Wortwahl eher weniger mit Gendersensibilität zu tun hatte: Schon im nächsten Moment rät der Junge seinem Kumpel: „Schlag die Olle einfach in den Bauch, wenn du sie geschwängert hast!“
Der Dritte am Tisch ruft: „Alter, nein, wenn es dein Sohn oder deine Tochter ist, dann musst du dich kümmern, das ist ’ne Sache von Ehre.“ Ich wende mich wieder meinem eigenen Kram zu. Als ich das Ladekabel nach einer halben Stunde wieder aus der Dose ziehe, sind die Jungs immer noch beim Thema. Der eine sagt: „Meiner soll Kevin heißen so wie ich.“ Der andere ruft: „Wenn es ein Junge ist: Thor, wenn es ein Mädchen ist, nenne ich sie Rosalie oder Anastasia.“
Er erntet nur Spott: „Alter! Thor ist voll der Spastenname. Und Annalie? Was soll das denn für ein Name sein? Den kann sich doch niemand merken, viel zu lang. Willst du, dass deine Kinder später gemobbt werden wegen deiner Namen? Ich werde mein Kind Kolya nennen, nach meinem Vater, weil ehrenhaft.“ Die anderen rufen: „Und wenn es ein Mädchen wird?“ Er überlegt: „Dann nenne ich sie auch Kolya und rufe sie einfach immer Kola-Mädchen.“ Kurz herrscht Stille. Dann rollt der Junge, der mich als Gästin bezeichnet hat, einen Joint und ruft: „Aber bevor wir alle Kinder durch die Gegend karren, müssen wir Amsterdam machen. Überall kiffen können ist doch das Größte.“
Eva-Lena Lörzer
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