BERNHARD PÖTTER über KINDER
: Im Schatten des Sonnenbrands

Wie schützt man Kinder vor UV-Strahlen? Und sind sie die richtigen Versuchskaninchen?

Jonas wälzt sich die ganze Nacht im Bett. „Aua, Mama, das tut we-eh!“, jammert er. Er schläft nicht unter der Decke. Nicht ohne Decke. Nicht nach einem Glas Wasser. Nicht nach einer Gutenacht-Geschichte. Er wimmert, er weint, er schluchzt. Der nackte Rücken ist rot.

Es ist schlimm, sein Kind so leiden zu sehen. Noch schlimmer ist es, wenn man selbst dafür verantwortlich ist. Heute Morgen ist mir Jonas beim allgemeinen Eincreme-Appell durch die eingecremten Finger gerutscht. Er rannte nach draußen und kam nicht wieder. Als ich ihn holen wollte, passierten alle Dinge auf einmal: das Telefon, Tina an der Müslischale, Stan in der Blumenvase. Jonas blieb verschwunden. Als er wieder auftauchte, war die Sonne verschwunden. Und begann dafür auf seinen Schultern zu glühen.

„Eincremen ist so eklig!“, schreit er selbst noch, als ich ihm für die Nacht vorsichtig eine kühlende Salbe auf seine gut gegrillten Schultern schmiere. Er hat ja Recht. Ich kann dem schleimigen Morgenritual auch nichts abgewinnen. Früher war das ganz anders. Als wir noch aus jedem Urlaub gut kross durchgebraten zurückkamen, war Sonnenmilch ein Ding für Weicheier. Eincremen? Die Mädchen vielleicht. Der Sonnenbrand in Südtirol, als ich weder schlafen noch schwimmen konnte, weil die Schultern brannten wie Feuer, ruinierte mir einen großen Teil der Ferien. Aber hinterher! Was konnten wir angeben mit den Hautfetzen, die sich von unserer geschundenen Oberarmen pellten! Wie cool war es, sich dann gegenseitig auf die Schultern zu schlagen und den anderen zusammenzucken zu sehen!

Heute ist der Sonnenbrand vom Aussterben bedroht. Er ist ein Generationenprojekt wie die elektrisch betriebene Brotschneidemaschine. Mein Vater trägt 60 Jahre nach einem furchtbaren Sonnenbrand immer noch die Narben auf der Haut. Ich bin damals mit Glück davon gekommen. Wenn heute Kinder einen Sonnenbrand haben, werden die Eltern von der aufgebrachten Mitelternschaft sofort nackt in die Sahelzone deportiert. Nicht umsonst haben wir vor 20 Jahren gegen das Ozonloch gekämpft. Unsere Kinder verlassen das Haus nur in ihrer Fremdenlegionärsausrüstung: Mütze mit Nackenschirm, lange Hosen, UV-festes T-Shirt, Sunblocker 30 auf der Haut. Wer nicht pariert, der spielt im Keller. Natürlich gibt es die Skeptiker. Bernard Ackerman zum Beispiel. Der US-amerikanische Hautarzt und Forscher findet keine Beweise dafür, dass UV-Strahlen der Haut schaden. Seit er das entschieden hat, trägt der angesehene New Yorker Mediziner keine Sonnencreme mehr – und bleibt trotzdem nicht zu Hause. Und die Flecken auf der Haut, die andere als Alarmzeichen für beginnenden Hautkrebs sehen, ignoriert er gelassen.

Aber: Hat Dr. Ackerman Kinder? Und lässt er sie einfach so in der Sonne herumrennen? Es ist eine Sache, für sich selbst das Risiko von Verbrennungen zweiten Grades und hässlichen schwarzen Melanomen auf der Haut einzugehen. Wenn man dann mit Hautkrebs im Krankenhaus liegt, kann man sich immerhin als Opfer der eigenen Wissenschaft begreifen. Aber dafür in der Haut seiner Kinder zu stecken, ist eine ganz andere Frage. Medizinische Selbstversuche in allen Ehren – aber wirklich vertrauen kann man einer Methode wahrscheinlich erst, wenn der Entwickler sie auch an der eigenen Nachkommenschaft ausprobiert.

Meine Kinder verhalten sich allerdings so, als wären sie gern Versuchskaninchen dieser Art. Jonas mogelt sich immer wieder ums Eincremen herum. Tina lässt sich von der Hitze auf der Sonnenliege schön durchbraten. Baby Stan reißt sich die Mütze vom Kopf und krabbelt in die pralle Sonne. Na ja. Geschmack muss sich bilden. Der Verstand wohl auch. Leider zerfällt er unter direkter Sonnenbestrahlung.

Fotohinweis: BERNHARD PÖTTER KINDER Fragen zur Sonne? kolumne@taz.de Freitag: Robin Alexander über SCHICKSAL