Fünf Tage lang Lost Oldenburg

FESTIVAL Beim 19. Internationalen Filmfest Oldenburg waren die Sparzwänge wegen der guten Filme und einer schönen Jury fast unsichtbar. Und der Eröffnungfilm gewann alle Preise

VON WILFRIED HIPPEN

Das hat es in all den Jahren in Oldenburg noch nie gegeben: Der Eröffnungsfilm war nicht nur erstaunlich gut, er räumte am Abschiedsabend sogar alle Hauptpreise ab. In der Regel ist der Film, der auf der Eröffnungsgala gezeigt wird, eher Futter für die Gäste und den Boulevard. Der ersten Abend ist auf allen Filmfestivals eher ein gesellschaftliches als ein cineastisches Ereignis, und so wird meist ein eher unterhaltsamer als künstlerisch überzeugender Film ausgesucht. Zudem ist es wichtig, dass möglichst viele bekannte Darsteller in ihm mitspielen, die dann als Gäste kommen und auf dem roten Teppich eine gute Figur machen. In diesem Sinne war die Eröffnungsgala in der EWG Arena am Mittwochabend eher ein Fehlstart des Festivals. Der Hauptdarsteller von „Oh, Boy“ Tom Schilling war nicht gekommen und der angekündigte Star des Festivals, die Hollywood-Schauspielerin Mira Sorvino, hatte ihren Flug verpasst und kam erst später in Oldenburg an.

Doch dafür gab es mit „Oh Boy“ eine außergewöhnlich gute Komödie zu sehen. In einer Mischung aus Melancholie und trockenem Humor wird da von 24 Stunden im Leben eines Berliner Traumtänzers erzählt. Der nicht mehr wirklich junge Mann hat sein Jurastudium geschmissen, lebt aber noch vom Geld seines Vaters, und an diesem Tag geht so ziemlich alles für ihn schief. Noch vor dem Frühstück verlässt ihn seine Freundin, ein perfider Gutachter lässt ihn durch den Idiotentest fallen, das Girokonto wird gesperrt, der Fahrscheinautomat funktioniert nicht und prompt nehmen zwei Kontrolleure ihn in der S-Bahn in die Mangel usw., usw.

Diese teilweise absurden Episoden fügen sich zu einem Stimmungsbild, das ein Lebensgefühl im heutigen Berlin glaubwürdig und atmosphärisch reich vermittelt. Der Regisseur Jan Ole Gerster findet bei seinem Debütfilm immer den richtigen Ton und seine Entscheidungen für ein leicht stilisiertes Schwarzweiß sowie einen etwas altmodisch swingenden Jazz als Filmmusik zeugen für eine gutes Gespür für die Wirkung von Bild und Ton. Und so gewann „Oh Boy“ nicht nur den Publikumspreis, sondern auch den „German Independence Award“ und zudem kam Tom Schilling dann doch, um den „Seymour Cassel Award“ für die beste schauspielerische Leistung anzunehmen.

Beide Preise wurden von einer Jury verliehen, die in diesem Jahr aus fünf Frauen bestand, die allesamt aus Nordamerika kommen. Diese ungewöhnliche Zusammensetzung ist typisch für das Filmfest in Oldenburg, das schon immer nach dem speziellen und im besten Sinne des Wortes unabhängigen Geschmack des Leiters Torsten Neumann konzipiert wurde. Seine Verbindungen zur US-amerikanischen unabhängigen Filmszene sind eng, und so findet man im Programm und bei der Auswahl der Gäste immer wieder solche Querverbindungen wie jene zwischen der Regisseurin Nancy Savoca, die schon 1994 in Oldenburg mit einem Tribute geehrt wurde und in diesem Jahr ihren neuen Film „Union Square“ vorstellte sowie Mira Sorvino, die darin eine der Hauptrollen spielt und wohl auch dadurch dazu zu bewegen war, das Festival als Präsidentin der Jury zu begleiten. Sie war oft in der Stadt zu sehen, gab Autogramme, wirkte sehr natürlich und sprach mit jedem. Eine schöne und sympathische Muse des diesjährigen Festivals.

Auch der Kameramann Phedon Papamichael kam durch die Verbindung zu einem alten Freund des Festivals nach Oldenburg. Der Schauspielveteran Seymour Cassel hat oft und gerne mit dem im Bayern aufgewachsenen Bildermacher gearbeitet, und so empfahl er ihn für eine Retrospektive. Papamichael hat Filme wie „The Million Dollar Hotel“ von Wim Wenders, „Walk the Line“ , Alexander Paynes „The Descendants“ und den Western „3:10 To Yuma“ gedreht. Dabei hat er sich originelle Bildkompositionen einen Namen gemacht, in denen er aber nie seine Virtuosität ausstellt, sondern sich immer der Erzählung unterordnet. Er und sein Oeuvre gehören zu den interessanten Entdeckungen des Festivals.

Am Sonntagabend stellte er seinen neuen Film als Weltpremiere vor. Dieser entpuppte sich dann auch als ein typischer Film für Oldenburg: Unabhängig, also mit wenig Geld produziert, wird hier schnell, wild und impressionistisch von einem Hollywood erzählt, in dem sich die Lebenswege von einem kleinen Dieb, einer Pornodarstellerin und dem Star einer Teenie-Fernsehserie kreuzen. „Lost Angeles“ heißt diese inspiriert erzählte Milieustudie und Billy Wilders „Lost Weekend“ wurde im diesjährigen Trailer des Oldenburger Filmfestes parodiert. Noch eines von den vielen Leitmotiven des Filmfestes, bei dem es nach den rigiden Kürzungen durch die Stadt noch längst nicht sicher ist, ob es auch seinen 20. Geburtstag feiern wird. Dabei war dies eines der besten Jahre der Festivalgeschichte.